Zeitbombe
einen, einzigen Tag, an dem sie hier wieder rauskommen. Und sonst nichts.«
Lenz sah auf seine Uhr.
»Wir danken Ihnen, dass Sie sich die Zeit für uns genommen haben, und müssen leider auch schon wieder los, Herr Kohler. Können Sie uns vielleicht noch zum Büro der Direktorin bringen?«
*
Das Büro der Anstaltsleiterin war deutlich größer als das des Schließers. Sie empfing die Kripobeamten hinter einem solide wirkenden mahagonifarbenen Schreibtisch, der diagonal im Raum stand, und vor dem Lenz und Hain Platz nahmen.
»Uwe Wagner hat mir schon ein wenig über das erzählt, was Sie auf dem Herzen haben, meine Herren«, eröffnete sie das Gespräch. »Sie kommen also wegen Rüdiger Bornmann?«
»Ja«, bestätigte Lenz.
»Na, dann schießen Sie mal los. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Es geht uns zunächst einmal um seine Behinderung. Offenbar gibt es darüber, ob und wie stark er tatsächlich gehandicapt war, höchst unterschiedliche Meinungen.«
Die Anstaltsleiterin goss sich aus einer hinter ihr stehenden Thermoskanne einen Kaffee ein, bot den Polizisten ebenfalls eine Tasse an, die jedoch dankend ablehnten, und trank einen Schluck.
»Sie haben sich mit Dr. Schamberg, unserem ärztlichen Leiter, unterhalten?«
»Ja.«
»Dann wissen Sie, dass es keine berechtigten Zweifel an seiner Behinderung gibt, Herr Lenz. Nicht daran, dass sie vorhanden ist, und nicht an ihrer Schwere.«
»Nun, so sicher, wie Sie es hier darstellen, war Dr. Schamberg sich bei der Diagnose nicht, Frau Heinemann. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, gibt es bei der Beurteilung solcher Dinge immer das Restrisiko, einem Simulanten aufzusitzen.«
»Das ist immer drin, da gebe ich Ihnen völlig recht. Aber ich bin davon überzeugt, dass es in diesem Fall nicht so gewesen ist.«
»Was genau macht Sie so sicher?«
»Ich kann es Ihnen nicht genau sagen, es ist einfach meine Überzeugung.«
»Aber es gibt einen Aufseher, der behauptet, dass Herr Bornmann …«
»Ich weiß«, unterbrach sie ihn. »Ich kenne diese Geschichten, die Herr Kohler in den letzten Jahren immer wieder mal vorgetragen hat, auch. Aber Herr Kohler hat, und das sollte bitte unter uns bleiben, nicht den besten Ruf in unserem Haus, wenn es um die Wahrheit geht. Ich selbst habe ihn schon einmal beim Schwindeln erwischt, und Sie können mir glauben, dass es mir nicht leichtgefallen ist, ihn dafür nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Darauf habe ich nur wegen seines Alters und seiner bald bevorstehenden Pensionierung verzichtet.«
»Sie glauben ihm also nicht, dass er Bornmann dabei beobachtet hat, wie dieser ein paar Leibesübungen ohne jegliche körperliche Einschränkung ausgeführt hat?«
»Dazu ein ganz klares Nein. Das glaube ich ihm nicht.«
»Warum sollte er lügen?«
»Weil Rüdiger Bornmann ihm immer und immer wieder klar zu verstehen gegeben hat, dass er ihm intellektuell deutlich überlegen ist. Das hat Herrn Kohler schwer getroffen und sein Verhalten gegenüber dem Gefangenen natürlich geprägt. Die beiden sind einfach sehr schlecht miteinander ausgekommen, um es mal vorsichtig zu formulieren.«
»Was haben Sie dagegen unternommen?«
»Das meiste hat sich vor meiner Zeit hier abgespielt; als ich hier die Leitung übernommen habe, lag das Kind leider schon im Brunnen.«
»Aber Sie haben keinen der beiden einer anderen Station zugewiesen?«
»Nein. Im Fall von Herrn Bornmann war das nicht möglich, weil er auf der Station der Sicherungsverwahrten bleiben musste, und bei Herrn Kohler lag die Sache so, dass die anderen Häftlinge auf der Station mit ihm sehr glücklich gewesen sind.«
»Dr. Schamberg hat uns erzählt«, bemerkte Hain, »dass es eine Anzeige von Bornmann gegen seinen Mitgefangenen Feist gab, der später von ihm getötet wurde. Und dass die Anstaltsleitung es versäumt hat, dieser Anzeige nachzugehen. Stimmt das?«
Julia Heinemann begann, nervös auf einem Fingernagel herumzukauen.
»Ja«, erwiderte sie schließlich. »Es war zwar vor meiner Zeit als Leiterin hier, aber ich muss ganz klar einräumen, dass in dieser Causa nicht alles so gelaufen ist, wie man es hätte erwarten können und müssen.«
»Gewalt gehört nun einmal zum Knastalltag«, zitierte Lenz den Arzt.
»Auch das ist richtig, Herr Kommissar. Aber wenn es schon einmal einen Hinweis darauf gibt, dass Gewalt ausgeübt wird oder wurde, sollte man dem schon nachgehen. Das wurde in diesem Fall leider versäumt.«
»Mit der Folge, dass einer Ihrer Häftlinge ums
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