Zeitbombe
gelaufen, wie er sich das vorgestellt hat, aber auch das hat er mit fast schon stoischer Ruhe hingenommen.«
»Was ist denn nicht so gelaufen, wie er es erwartet hat?«
»Zum einen die Sache mit dem Nachschlag auf seine Strafe. Ich weiß nicht, ob Sie das alles wissen, aber er hat vor ungefähr zehn Jahren einen Mithäftling abgestochen. Natürlich hat er vermutet, dass er wegen Notwehr freigesprochen würde, aber sie haben ihm dafür zehn Jahre extra gegeben. War eigentlich egal, nach 15 Jahren hätten sie ihn sowieso rauslassen müssen, aber auch da hatte er sich verrechnet.«
Nun zog sich ein breites Grinsen über Kohlers Gesicht.
»Denn der gute Rüdiger konnte ja nicht ahnen, dass es nachträglich die Sicherungsverwahrung obendrauf geben würde. Das, und da habe ich ihn zum ersten Mal in meinem Leben wirklich am Boden gesehen, hätte ihn fast gebrochen, aber nur für ein paar Tage. Dann war er wieder der arrogante alte Mistknochen, der er schon vorher immer gewesen ist.«
»Sie halten nicht viel von Herrn Bornmann, nicht wahr?«, meinte Hain, der seinen Notizblock in der Hand hielt und am Mitschreiben war.
»Nein, das nun wirklich nicht. Erstaunlicherweise habe ich ihm von Anfang an geglaubt, dass er seine Frau damals nicht ermordet hat, aber er hat sich einfach im Lauf der Jahre zu einem echten Arschloch entwickelt. Natürlich muss man hier drin sehen, wo man bleibt, aber er hat es doch ein bisschen übertrieben damit.«
»Das ist ja interessant«, bemerkte Lenz neugierig. »Warum glauben Sie, dass er nicht der Mörder seiner Frau ist?«
»Weil die Sache damals ein abgekartetes Spiel war. Irgendwer bei der Polizei wollte, dass Bornmann der einzige in Frage kommende Täter war, und die Staatsanwaltschaft hat es so gefressen. Nicht fair gegenüber Rüdiger Bornmann, aber das Leben ist nun einmal nicht in jedem Detail gerecht.«
»Wenn ich Sie richtig verstehe, sind Sie also der Meinung, dass Sie mehr als 20 Jahre lang einen Justizirrtum bewacht haben?«
»Ja, genau das meine ich. Aber es bezieht sich, wie gesagt, nur auf die Sache mit seiner Frau. Wenn wir schon so offen reden, dann sage ich Ihnen auch direkt auf den Kopf zu, dass die andere Geschichte kein Totschlag war, sondern Mord, weil der gute Rüdiger schon mit dem Schraubenzieher im Hosenbund zu dem Treffen mit seinem damaligen Widersacher gegangen ist. Und das nenne ich einen eindeutigen Tatvorsatz.«
»Wie sind Sie sonst mit ihm klargekommen?«
Kohler fuhr sich deutlich hörbar über sein schlecht rasiertes Kinn.
»Nachdem er mitgekriegt hatte, dass ich ihn für einen Täuscher und Betrüger halte, hat er mich mit Verachtung gestraft und nur noch das Nötigste mit mir geredet. Aber das hat gut zu ihm und seiner Weltanschauung gepasst. Entweder man war für ihn oder man war gegen ihn. Was anderes hat er einfach nicht anerkannt, der alte Dickschädel.«
»Warum Dickschädel?«
»Na ja, er hat sich nicht viel in den Kopf gesetzt, aber wenn er sich etwas vorgenommen hatte, dann hat er es auch mit aller Macht durchgezogen.«
»Was zum Beispiel?«
»Hm. Er wollte ab einem bestimmten Zeitpunkt eine Zelle, aus deren Fenster er den Herkules sehen konnte. Ist ja eigentlich Quatsch, weil man auf den Tisch steigen muss, um aus dem Fenster sehen zu können, aber das war ihm scheißegal. Er wollte Herkulesblick und er hat ihn gekriegt, mit Langmut und Ausdauer. Nur, als er dann in die Sicherungsverwahrung kam, hat er sich damit nicht mehr durchsetzen können, weil das in dem Flügel einfach nicht zu machen war.«
»Hat er Ihnen erzählt, warum er unbedingt den Herkules sehen wollte?«
»Mir nicht, aber einem anderen Gefangenen. Weil man als alter Kasselaner den Herkules einfach nicht aus den Augen verlieren darf, soll er gesagt haben. Und, dass sein Schicksal untrennbar mit dem Herkules verbunden wäre. Pathetisches Geschwätz, wenn Sie mich fragen.«
»War dieser Gefangene ein Freund von ihm?«
Kohler lachte herzhaft auf.
»Wenn Sie Rüdiger Bornmann jemals kennengelernt hätten, würden Sie so eine Frage nicht stellen. Der hatte einfach keine Freunde, weil er nie jemand an sich rangelassen hat. Mal eine mit einem anderen Gefangenen rauchen, das ging, aber mehr nicht. Er hat einfach niemanden akzeptiert, weder Mitgefangene noch Schließer.«
»Wie war das mit einem Gefangenen, der einen nicht akzeptiert?«
»Ach«, winkte Horst Kohler ab, »für die meisten hier drin sind wir Futterlieferanten und Lakaien, sonst nichts. Die leben für den
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