Zeitbombe
und im Winter 1989, also in dem Zeitraum zwischen dem Mord an Bornmanns Frau und dem Ende des Prozesses gegen ihn, ist wohl Ludger ziemlich oft bei Nobby aufgetaucht. Die beiden haben immer ganz heimlich gemacht und sind im Keller verschwunden, wo es einen so genannten Hobbyraum gab. Zuerst hat sie sich, wie sie sagt, nichts dabei gedacht und sich sogar darüber gefreut, dass ihr Mann endlich mal auf andere Gedanken kommen würde. Er hat ja damals schon viel Zeit in seine diversen Sammelleidenschaften gesteckt. Aber irgendwann ist ihr aufgegangen, dass die Besuche und die Treffen mit Ludger im Hobbyraum ihrem Norbert alles andere als gutgetan haben. Er wurde immer verschlossener und in sich gekehrter und hat an nichts mehr Spaß gehabt. Als sie ihn darauf angesprochen hat, ist er fuchsteufelswild geworden, hat sie angebrüllt und war so, wie sie ihn vorher noch nie erlebt hatte. Das ging ein paar Wochen so weiter, bis er wohl nicht mehr konnte und ihr eines Nachts gestanden hat, dass in der Abteilung eine ganz üble Sauerei stattgefunden habe. Worum es genau gegangen war, wollte er ihr zwar nicht erzählen, angeblich, um sie zu schützen, aber er war deshalb noch eine ganze Weile ziemlich durch den Wind. Irgendwann hat sie dann aufgehört, ihn danach zu fragen, und so ist Gras über die Sache gewachsen.«
»Meine Fresse, RW, das klingt ja richtig interessant.«
»Ja, aber es ist noch längst nicht alles«, fuhr Gecks fort. »Irgendwann um den zweiten Prozess gegen Bornmann, der, in dem es darum ging, dass er im Knast einen Mithäftling umgebracht haben soll, stand darüber etwas in der Zeitung. Eine kleine Meldung, eigentlich keiner Erwähnung wert, aber für Norbert Schneider wieder ein Grund, für Monate in so etwas wie eine Depression zu fallen, aus der er nur mit großer Mühe wieder herausgefunden hat.«
»Sie hat ja während unseres Gespräches neulich erwähnt, dass ihr Mann unter gewissen Störungen gelitten hat. Gab oder gibt es da vielleicht einen Zusammenhang?«
»Das habe ich sie auch gefragt, aber sie sagt dazu nur, dass sie erstens keine Ärztin sei und zweitens mit Nobby so gut wie gar nichts mehr zu tun hatte. Was soll man da noch weiter fragen?«
»Stimmt, das ist schon in Ordnung. Aber es ist klasse, dass du dich mit diesen Informationen bei mir gemeldet hast, RW.«
»Ich hätte noch was auf der Pfanne, Paul.«
»Noch mehr exzellente Ermittlungsergebnisse?«, fragte Lenz mit Anerkennung in der Stimme.
»Ja. Irgendwie muss ich ja auch meine Kröten verdienen, oder?«
»Was gibt es noch, RW?«
»Ich habe mit dem Rechtsanwalt gesprochen, der Bornmann damals verteidigt hat.«
»Was? Wo hast du den denn her?«
»Ach, das war gar nicht so schwer. Ein alter Freund von mir bei der Lokalzeitung hat schnell im Archiv nachgesehen und den Namen rausgesucht. Der Verteidiger arbeitet seit ein paar Jahren als Justiziar für eine Versicherung und lebt in Köln; dort habe ich ihn auch telefonisch erreicht.«
»Und, konnte er sich an den Fall erinnern?«
»Und ob. Der war einer der Gründe, warum er nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten wollte und als Angestellter in die Privatwirtschaft gewechselt ist.«
»Wieso das?«
»Weil, wie er sich ausgedrückt hat, die ganze Sache damals zum Himmel gestunken hat, allerdings nichts dagegen zu machen war. Die Aussagen der Polizisten, die als Zeugen auftraten, hatte seiner Meinung nach irgendjemand für sie ausgearbeitet und vorformuliert. Und zwar so messerscharf und detailliert, dass es ihn fast umgehauen hat, aber die Richter haben sich nun mal davon überzeugen lassen. Das war es dann für Bornmann.«
»Und warum gab es keinen Aufschrei in den Medien? Hat er dazu auch was gesagt?«
»Ja, und erstaunlicherweise das Gleiche wie ich. Die haben damals alle Wiedervereinigung gefeiert und sich lieber mit Erich und Margot Honecker beschäftigt als mit einem vermeintlichen Frauenmörder aus Kassel, der vor Gericht von ein paar Polizisten verladen und in den Knast geschickt wurde.«
»Und die Gerüchte, dass einer der Jungs was mit der Ermordeten hatte?«
»Die gab es, ließen sich jedoch nie verifizieren. Und er sagt, dass er sich lieber die Zunge abschneiden würde, als dazu noch etwas zu sagen.«
»Weiß er mehr, als er sagt?«
»Nein, das glaube ich nicht. Für ihn, und das hat er auch klar zum Ausdruck gebracht, ist die Sache so lange her, dass er endlich seinen Frieden damit gemacht hat; deshalb will er nicht wieder ernsthaft daran erinnert
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