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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Mann den Raum. Wilhelm saß erneut im Dunkeln.
    *
    Die Gänge, durch die Wilhelm geführt wurde, waren schmal, feucht und spärlich beleuchtet. Links und rechts gingen weitere Gänge ab sowie Schlafsäle, Munitionskammern, Vorratsräume, Küchen. Treppen führten nach oben und unten. Er befand sich in einem Bunker, in einer unterirdischen Kaserne.
    Er wurde in eine Kleiderkammer geführt. Nach einer Minute hielt er eine feldgraue Uniform, einen Mantel, einen Helm und ein paar Stiefel in den Händen. Er wurde weiter durch mit Kopfsteinen gepflasterte Gänge geführt, dann stand er vor einer Stahltür, hinter der sich ein Raum voller Waffen befand – und Spaten verschiedenster Größe. »Gib ihm den üblichen«, sagte einer der Soldaten.
    Seine neue Uniform unter einem Arm, den Spaten unter dem anderen, trat Wilhelm kurz darauf ins Freie. Er wusste nicht, wie lange er die Sonne nicht mehr gesehen hatte. Auch heute zeigte sie sich nicht: Es schneite, Wolkenfetzen jagten über den Himmel, eisiger Wind drang durch die Kleidung. Durch das Schneegestöber sah er einen Lastwagen. »Na endlich, wir müssen los!«, rief der Fahrer, der weit aus dem Fenster lehnte. »Rauf mit ihm!«
    Wilhelm erkannte jetzt, dass sich auf der Ladefläche Männer drängten, Männer in grauen Armeemänteln, mit Spaten unter den Armen. Als er zwischen ihnen stand, bemerkte er, dass sie offenbar schon geraume Zeit auf ihn gewartet hatten: Ihre Hände waren blau gefroren.
    Sie kauerten auf der Ladefläche und starrten nach vorn. Sie hatten keinen Blick für das Geschehen um sie herum, für die Fahrzeuge, die Pferdefuhrwerke, die Kanonen und die Marschkolonnen, sie hielten die Augen unbewegt nach vorn gerichtet. Der kleine Soldat neben ihm war der Einzige, der Wilhelm ansprach. »Leopold«, stellte er sich vor, »früher war ich Offiziersanwärter, jetzt bin ich einfacher Soldat wie alle hier in dieser Truppe, unterste Stufe. Kein Rangabzeichen, kein Titel, aber immer ’ne große Klappe. Deshalb sind wir ja auch hier gelandet. Aber es gibt schlimmere Strafbataillone. Ist mein drittes.«
    Er sah Wilhelm an und wartete auf eine Reaktion. Wilhelm schwieg.
    Der Mann nickte. »Du brauchst hier niemandem irgendwas zu sagen, egal was sie dich fragen. Sind alles neugierige Kerle, man erzählt ihnen besser nicht zu viel. Außer dem Feldwebel und dem Spieß natürlich, und dem Offizier erst recht …«
    »Und warum erzählst du mir so viel?«, fragte Wilhelm.
    »Entschuldigung«, sagte Leopold, »ich wollte dich nicht langweilen. Ich dachte nur, du solltest wissen, wo du hier gelandet bist.«
    »Danke«, sagte Wilhelm, »ich denke, ich bin beim Buddel-Bataillon gelandet, oder?«
    Leopold lachte laut auf. »Gefällt mir! So hat’s noch keiner genannt. Aber warte nur ab – wenn’s losgeht, ist es nicht mehr lustig.«
    Wilhelm nickte. »Seit wann macht ihr das?«
    »Keine Ahnung. Ich bin seit zwei Monaten dabei, seit sie mich wegen Diebstahl erwischt haben. War ’ne wunderschöne Taschenuhr. Nun guck mich nicht so an, als wäre ich ein Krimineller! Alle holen sich, was ihnen gefällt, die meisten Häuser sind schon fast leer. Aber man darf sich natürlich nicht erwischen lassen. Und mich haben sie erwischt.«
    »Und dann?«
    »Erst Arrest, und dann haben sie es sich anders überlegt: Arbeit statt einsperren. Zum Beispiel schaufeln. Wir haben schon das halbe Land umgegraben.«
    »Ihr?«
    »Natürlich nicht allein. Sie haben haufenweise Buddel-Bataillone, die die Gräben ausheben, in denen dann die Soldaten und die Ratten hausen. Und wenn irgendwo ein Graben zusammenbricht, müssen wir hin und ihn wieder herrichten. Da fliegen einem die Kugeln um die Ohren. Zurückschießen können wir nicht, haben ja nur die Spaten. Aber wenn du damit schnell genug bist, kannst du sie alle abwehren. Kling-klang-klong, so klingt das dann.« Wieder lachte er.
    Im Laufe des Vormittags verzogen sich die Wolken. Je weiter der Lastwagen fuhr, desto heller wurde der stahlblaue Streifen am Horizont, ein klarer, strahlender Wintermorgen. Im Gegensatz dazu stand das dumpfe Gewittergrollen vor ihnen, das von Minute zu Minute bedrohlicher wurde. Am Mittag erreichten sie die Reservelinien und passierten eine unübersehbare Menge Soldaten, nach einem weiteren Kilometer hielt der Wagen. Sie hatten die Unterstützungslinie erreicht. Von hier waren es nur noch zweihundert Meter bis zur vordersten Front. Wilhelm fiel auf, dass das Grollen abgeebbt war. »Mittagspause«, sagte einer der

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