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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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bevorstehenden Großangriff, dessen Vorbereitungen für alle sichtbar auf vollen Touren liefen: Auf Bahnwaggons rollten unentwegt Geschütze vorbei, darunter neuartige Kanonen mit Reichweiten von bis zu 30 Kilometern und einer Durchschlagskraft, die noch niemand ermessen konnte. »Damit kannst du den Kölner Dom in die Luft sprengen«, sagte einer der Männer.
    Sie saßen dicht gedrängt in einem der Klassenzimmer des Schulgebäudes zusammen und versuchten mit dem kleinen Eisenofen den Raum zu heizen. Rauch drang aus der Ofentür, wenn neues Holz nachgelegt wurde. Manche husteten.
    »Der Franzmann hat die auch«, erwiderte Leopold, »freu dich nicht zu früh! Krupp liefert an alle – jeder Schuss kostet 1 500 Mark. So viel verdienst du in zehn Jahren nicht.«
    »In zehn Jahren? Da bin ich längst Offizier!«, sagte der Mann, »dann sitze ich nicht mehr in so einer Miefbude, dann lass ich mir von Kerlen wie euch die Stiefel sauberlecken!« Er lachte, und als er merkte, dass er der Einzige war, fügte er beschwichtigend hinzu: »Ihr seid dann alle Offiziere! 300 Mark im Monat statt 15 – davon könnt ihr jeden Tag in den Puff gehen.«
    »Fängst du schon wieder davon an?«, erregte sich ein anderer. »Du warst doch heute erst da! Hast du gar nichts anderes in deinem preußischen Holzkopf?«
    Der Mann lachte nicht mehr. »Ihr Bayern mit eurer großen Fresse!«, sagte er. »Das kommt, wenn man die Rettiche immer quer frisst, da kriegt man so’n Maul.«
    »Apropos quer – stimmt es eigentlich, was man über die preußischen Frauen sagt?«, fragte der Bayer und sah sein Gegenüber herausfordernd an.
    »Schade, dass du es nicht selber überprüfen kannst. Sind ja alles bayerische Weiber in den Etappenpuffs hier.«
    Wie auf Kommando sprangen beide auf und packten sich gegenseitig an der Gurgel. Leopold stieß Wilhelm an und deutete mit dem Kopf auf den Ausgang. Wilhelm nickte, und sie erhoben sich. Als sie vor die Tür traten und den Lärm aus dem Zimmer hörten, in dem nun offenbar mehr als nur zwei Männer aufeinander losgingen, sagte Leopold: »Das wird nie was mit den Bayern und den Preußen! Im Lazarett hat sich kürzlich ein Sanitäter aus Berlin geweigert, einen Münchner Schützen zu behandeln. Erst als der Mann beteuerte, er wäre in Württemberg geboren, haben sie ihn verarztet.«
    »Warst du dabei?«
    »Nein, aber ich glaube es trotzdem.«
    Wilhelm nickte. Er mochte Leopold und rechnete es ihm hoch an, dass er ihn nicht danach gefragt hatte, was der Major von ihm gewollt hatte. Sie gingen durch den Ort und kamen an einem Haus vorbei, vor dem eine Gruppe von Soldaten stand und auf etwas zu warten schien. Es ging auf den Abend zu, ein kalter Wind ließ sie ihre Uniformkrägen hochschlagen und mit den Füßen stampfen. Das warme Licht, das schwach durch die roten Vorhänge nach draußen drang, ließ das Haus umso einladender erscheinen. Plötzlich wurde eine Tür aufgestoßen, und zwei Offiziere traten heraus. Die Soldaten nahmen Haltung an und salutierten. »Tut mir leid, Männer, ihr müsst wohl noch etwas warten«, sagte einer der beiden. Dann verschwanden sie in der Dämmerung.
    »Rechts die Offiziere, links die Mannschaften«, sagte Leopold zu Wilhelm, die von der anderen Straßenseite aus die Szene beobachteten. »Hey«, rief einer der wartenden Soldaten zu ihnen hinüber, »die Desinfektion schließt um sechs. Wenn ihr noch rein wollt, müsst ihr euch ranhalten!«
    »Ein andermal«, antwortete Wilhelm. »Viel Vergnügen!«
    »Wer nicht will, der hat schon!«, rief der Soldat lachend.
    »Wenigstens hat er gute Laune«, sagte Leopold, als sie weitergingen, »dann ist es für die Frauen da drinnen erträglicher. Schlimm ist es, wenn sie besoffen sind. Bis vor kurzem hat die Feldpolizei da ein Auge draufgehabt. Aber die haben jetzt anderes zu tun.«
    »Du meinst wegen der Deserteure?«
    Leopold nickte. »Die Franzosen machen es aber auch sehr geschickt.«
    Wilhelm wusste, was Leopold meinte, er hatte die Flugblätter gesehen, die sie aus Heißluftballonen über den deutschen Stellungen abwarfen: Schilderungen der Wohltaten der Gefangenschaft und Aufforderungen zum Überlaufen. Berichte von ausgetauschten Gefangenen, wie gut sie von den Franzosen behandelt worden waren, taten ein Übriges: Die Bereitschaft vieler Soldaten, bei der nächsten Gelegenheit die Hände zu heben, wuchs.
    »Die Urteile werden sofort vollstreckt«, sagte Leopold. »Da fackeln sie heute nicht mehr lange. Die Feldpolizei hat freie Hand

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