Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
letzte. Die anderen wurden verschüttet, als die Wand am Ende des Ganges einstürzte.«
»Wir sollten versuchen, hier rauszukommen«, sagte Wilhelm.
Der Mann schüttelte den Kopf. »Alle Ausgänge sind vergittert, es kommt niemand heraus oder hinein.«
In diesem Moment ließ ein ungeheures Krachen die Mauern erzittern, Steine lösten sich aus den Wänden, Putz rieselte herunter. »Volltreffer!«, sagte der Schwarze, »schon der zweite heute!« Er stemmte sich hoch. »Los, weg von hier, wir müssen weiter nach unten. Dort sind die Mauern dicker.«
Er schleppte sich den Gang entlang. Wilhelm sah ihm nach. »Es muss einen Ausgang geben, nicht nach dort!«, rief er, als mit einem Knall eine Stahltür am Ende des Ganges aufflog und ein Feuerstrahl herausschoss. Die Flamme erfasste Abadi, wie eine Fackel taumelte er noch einige Schritte weiter, dann stürzte er zu Boden. Im Feuerschein erkannte Wilhelm die Uniformen der Männer, die Flammenwerfer in ihren Händen hielten. Es waren Franzosen.
Wilhelm lag am Boden, im Laufschritt stürmten sie an ihm vorbei. Es musste also doch einen Ausgang geben! Wilhelm erhob sich und folgte den Soldaten. Kurz darauf sah er Licht am Ende des Ganges – Tageslicht! Als er näher kam, hörte er erst das Tackern eines Maschinengewehrs und dann Schreie: Die Männer liefen direkt in eine deutsche MG-Stellung hinein, die vor dem Ausgang postiert war!
Wilhelm schleppte sich weiter. Kurz bevor er den Ausgang erreichte, erschienen zwei Soldaten in der Maueröffnung – deutsche Soldaten! Blitzschnell warfen sie Wilhelm zu Boden, einer hob sein Bajonett, um zuzustoßen, als der andere ihn zurückriss. »Blödmann! Immer erst auf die Uniform gucken!«, schrie er. Er beugte sich zu Wilhelm. »Bist du verletzt?« Wilhelm nickte.
»Versuch rauszukommen, draußen sind Sanitäter.« Dann liefen sie ins Innere des Forts.
Draußen lagen die Franzosen am Boden, die vor wenigen Sekunden noch über Wilhelm hinweggestürmt waren. Er ergriff eines ihrer Gewehre und trat vorsichtig ins Freie. Geschützqualm lag über dem Gelände, von allen Seiten krachten unaufhörlich Schüsse. Durch den Lärm hörte er Rufe, Schreie, Befehle – deutsche Stimmen. Es schienen weitere Verbände bis zum Fort vorgedrungen zu sein. Aus dem Dunst tauchten schemenhaft immer mehr Soldaten vor ihm auf. Wilhelm ging auf sie zu.
Der Schmerz ließ allmählich nach, die Wunde an der Hüfte blutete nicht mehr, dennoch bewegte Wilhelm sich nur schleppend vorwärts. Gegen Abend hatte er den Wald, der das Fort umgab, fast erreicht. Noch war er auf keinen Sanitäter gestoßen, stattdessen strömten immer neue Einheiten an ihm vorbei inRichtung Fort Vaux. Der Beschuss der französischen Artillerie von der anderen Seite des Forts war fast vollständig verebbt, nur noch vereinzelt schlug es links und rechts der Marschkolonnen ein, manchmal mitten hinein. Wann immer Wilhelm Soldaten nach dem Sanitätsbataillon fragte, deuteten sie nach hinten: »Kann nicht mehr weit sein!«
Das freie Feld, das sich vor ihm auftat, war übersät von Granattrichtern. Wilhelm spürte, wie die Kräfte ihn verließen. Er ließ sich in einen der Krater hineingleiten, um auszuruhen. Nach wenigen Sekunden war er eingeschlafen.
Brennender Schmerz in der Brust und in den Augen weckte ihn. Er richtete sich auf und blickte sich um. Der Morgen dämmerte bereits. Sein Atem ging rasselnd, das Brennen in der Brust wurde stärker, Wilhelm hustete. Und dann sah er es: Chlorgas-Nebel schlich dicht über dem Boden aus Richtung des Waldes heran. Noch hatte die Hauptwolke ihn nicht erreicht, aber es konnte nur noch wenige Sekunden dauern. Wilhelm erhob sich, Übelkeit stieg in ihm auf und hätte ihn fast wieder zu Boden gezwungen. Als er stand, erreichte ihn die Wolke und umhüllte seine Beine. Langsam kletterte er aus dem Krater. Der schwache Wind hielt das meiste Gas am Boden, dennoch wurde das Stechen in der Brust von Minute zu Minute stärker. Mechanisch setzte Wilhelm einen Fuß vor den anderen, den Kopf gesenkt konzentrierte er sich auf seine Stiefelspitzen, die im Gasnebel kaum zu erkennen waren. Immer noch war es still, Geschützdonner drang nur aus der Ferne heran.
Wilhelm erschrak, als er plötzlich mit dem Fuß gegen einen Körper stieß. Vor ihm lag ein Toter, an dessen Koppel eine Gasmaske befestigt war. Rasch löste er die Gasmaske vom Gürtel des Toten und zog sie sich übers Gesicht.
Er ging weiter. Er sah und hörte fast nichts mehr, er spürte nur noch
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