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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Adalbert starrte auf das aufgeschlagene Oktavheft, in dem er eigentlich schon mindesten zwei Seiten hätte füllen sollen mit Aussprüchen des Kaisers. Bisher hatte er nur einen einzigen zu Papier gebracht: »Das Auto hat keine Zukunft, ich setze auf das Pferd.«
    Ohne seine Zeitung zu senken, fistelte Dr. Sattelmaier plötzlich: »Neugebauer, sieh nach, was bei von Schwemer los ist.«
    Der Klassensprecher, der in der ersten Reihe saß, erhob sich sofort und eilte durch das Klassenzimmer. Vor Adalberts Tisch blieb er stehen.
    »Bitte sprechen zu dürfen«, sagte er dann.
    »Ich höre«, antwortete Dr. Sattelmaier.
    »Es liegt etwas unter dem Tisch.«
    »Was ist es?«
    »Ein Buch.
    »Aufheben!«
    Neubauer bückte sich und hob das Buch auf.
    »Herbringen!«
    Dr. Sattelmaier hatte immer noch nicht die Zeitung gesenkt. Er deutete mit einem Finger auf die leere Schreibtischfläche. Neugebauer legte das Buch darauf und schlüpfte in seine Bank zurück.
    »Neugebauer!«, ertönte es hinter der Zeitung.
    Der Junge sprang erneut auf und stellte sich neben das Pult.
    Jetzt sank die Zeitung herab, die fleischige, kleine Hand des Oberstudienrats schnellte hervor und versetzte dem Jungen zwei Ohrfeigen, eine links, eine rechts.
    »Wann darf man sich setzen?«
    »Wenn Sie es sagen, Herr Dr. Sattelmaier.«
    »Und warum hast du dich gesetzt?«
    Erneut schnellte die Hand hervor.
    Dann faltete Dr. Sattelmaier penibel den Berliner Lokalanzeiger zusammen und legte ihn auf das Pult. Er beugte sich vor, um das Buch zu betrachten, das Neugebauer vor ihn gelegt hatte.
    Er sah es lange an, dann sagte er: »Und das nennst du ein Buch? Ich nenne das eine Schande!«
    Sein dünnes Stimmchen überschlug sich, er räusperte sich. »Eine Schande!«, wiederholte er so laut er konnte.
    Er las den Titel des Romanheftes vor: » Die Schwester vom Roten Kreuz . Ist sie das?« fragte er, und sein Blick schoss durch den Klassenraum zu Adalbert. »Dieses Flittchen hier auf der Umschlagseite? Diese …«
    Jetzt sprang er behende auf und war mit wenigen Schritten bei Adalbert. »Was hat von Schwemer noch unter seiner Bank?«, fragte er Rademann, der neben Adalbert saß, ohne den Blick von Adalbert zu lassen.
    Der Junge beugte sich vor und zog zwei weitere Hefte hervor. Er legte sie auf den Tisch.
    »Vorlesen!«
    » Das Geheimnis der Kammerzofe und Die einsame Komtesse , Herr Oberstudienrat!«
    Dr. Sattelmaiers Kiefer mahlten, man hörte seine Zähne knirschen – für die vierzig Jungen in der Klasse das Zeichen akuter Gefahr. Und dann flitzte seine kleine Hand in Adalberts Gesicht hin und her. Nach einer halben Minute waren die Wangen rosa, nach einer Minute feuerrot.
    »Nach der sechsten Stunde!«, sagte Dr. Sattelmaier leise. Alle wussten, was das hieß.
    *
    Elisabeth wurde allmählich ärgerlich. Das Mittagessen war seit mehr als einer halben Stunde fertig, von den beiden Jungen jedoch keine Spur. Immer wieder sah sie aus dem Küchenfenster zur Straße. Irgendwann wandelte sich ihr Ärger in Besorgnis. Und dann kam Karl um die Ecke gerannt und stürmte durch die Hautür. Schwer atmend ließ er seinen Ranzen zu Boden fallen und setzte sich auf einen Küchenstuhl.
    »Wo ist dein Bruder?«, fragte Elisabeth.
    »Sie haben ihn dabehalten.«
    »Wer?«
    »Der Direktor und noch ein Lehrer.«
    »Könntest du mir das bitte etwas genauer erklären?«
    »Nach der Sechsten ist Verhau-Stunde, das weißt du doch.«
    »Nein, das wusste ich nicht.«
    »Es ist uns ja auch noch nie passiert.«
    »Und heute?«
    »Adalbert hat irgendwas gemacht. Ich weiß nicht was. Er musste bleiben.«
    Elisabeth wurde erst bleich vor Schreck, dann rot vor Zorn. Eilig füllte sie Karl einen Teller Suppe auf. »Iss! Ich komme gleich wieder.«
    Sie griff ihren Hut und stürmte aus dem Haus. Schon zwei Straßen weiter sah sie ihn: Zwei Klassenkameraden begleiteten Adalbert, der ihr schleppenden Schrittes entgegenkam. Als er seine Schwester sah, blieb er stehen, bis sie ihn erreichte und in die Arme nahm.
    Adalbert schluchzte, Elisabeth hielt ihn lange fest. Die beidenanderen Jungen traten ungeduldig von einem Fuß auf den anderen.
    »Warum ist das passiert?«, fragte Elisabeth sie.
    »Es war … er hatte … er hatte Hefte bei sich.«
    Elisabeth sah die Jungen fragend an.
    »Solche Hefte, die wir nicht lesen dürfen«, ergänzten sie. »Er hat sie unter dem Tisch gelesen, und eines ist runtergefallen.«
    Sie nickte. »Danke, dass ihr ihn begleitet habt«, sagte sie und gab jedem von ihnen

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