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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Abendessen abholte. Er liebte es, neben Adèle zu sitzen und mit ihr gemeinsam zu erleben, wie die Abenddämmerung über die Weinberge den Weg zu ihnen fand.
    Seine Mutter schien zu ahnen, dass sie für Wilhelm nicht sehr willkommen war, denn sie klopfte meist zaghaft an die Tür, als wolle sie nicht stören. Monsieur Printemps hatte sie jedoch schon kommen hören, und im Augenblick ihres Klopfens warf er einen kurzen Blick zu Wilhelm und bedeutete ihm mit einer Kopfbewegung, die Tür zu öffnen. Wilhelm und Adèle verabschiedeten sich in solchen Momenten nicht voneinander – es hätte die Magie des Augenblicks zerstört, die sie so lange wie möglich bewahren wollten. Wilhelm trat hinaus zu seiner Mutter, die vor der Tür auf ihn wartete. Sosehr er sie liebte, so wenig gehörte sie in die Welt, die Adèle und er sich geschaffen hatten.
    Als die Kutsche jetzt die Steigung zum Gutshaus nahm, spürte er nach all den Jahren selbst im Halbschlaf genau, wo er war: Sein Körper erkannte jede Kurve und Unebenheit des Weges. Alsder Wagen vor dem Haus hielt, saß er kerzengerade auf der Bank und beobachtete durch das Fenster, wie seine Mutter die wuchtige Holztür öffnete und mit wehendem Kleid die Stufen heruntergelaufen kam. Er öffnete die Wagentür, stieg aus, und eine Sekunde später lag Helène in dem ausgestreckten Arm ihres Sohnes, vorsichtig genug, um seinen verwundeten Arm nicht zu berühren. »Wilhelm!«, rief sie und wiederholte seinen Namen immer wieder, »ich hätte es nicht zulassen dürfen! Du hättest niemals in dieses schreckliche Land reisen dürfen! Ich werde es deinem Vater nie verzeihen. Er hat mir kein Wort davon gesagt, was dort auf euch wartet …«
    »Alles ist gut, Mutter«, sagte Wilhelm, »jetzt bin ich hier, und ich lebe!« Helène gelang es nicht, die Fassung zu wahren, sie schluchzte, immer wieder unterbrochen von den Worten »nie … nie werde ich es ihm verzeihen. Dieser Wahnsinnige!«.
    »Sie sollten nicht so über ihn sprechen«, versuchte Wilhelm sie zu beruhigen, »was er dort macht, ist wichtig, man schätzt ihn dort.«
    »Man schätzt ihn!«, wiederholte sie spöttisch und wischte Tränen von ihrer Wange. »Ja und? Ist das ein Grund, den eigenen Sohn in so ein idiotisches Abenteuer zu schicken? Die Telegrafenstation ist in Gefahr – ja und? Musste Aiauschi dafür sterben? War es das wert? Die sind doch alle von Sinnen, diese Männer mit ihren Kaiser-Wilhelm-Bärten – dein Vater zuallererst! Was haben die da zu suchen in Afrika?« Wie immer, wenn sie sich aufregte, verfiel sie in die französische Sprache.
    »Mutter!«, sagte Wilhelm und sah sich nach den beiden Kutschern um, die das Gepäck ausgeladen hatten und bereitstanden, um ihre Entlohnung entgegenzunehmen. »Sie können alles hören«, sagte er leise.
    »Sollen sie doch!«, sagte sie und putzte sich die Nase. Für Wilhelm das Zeichen dafür, dass sie sich langsam wieder beruhigte.
    »Was ist los?«, fragte er, als sie in die Vorhalle des Gutshauses traten. »Was bedrückt Sie wirklich?«
    »Wieso, genügt es nicht, was dir widerfahren ist?«
    »Ich merke aber, dass das nicht alles ist.«
    Helène deutete zur Treppe, die nach oben führte. »Deine Großmutter«, sagte sie, »sie ist bettlägerig und nicht mehr sie selbst, seit dein Großvater gestorben ist.«
    Wilhelm sah sie entgeistert an. »Er ist …«
    Sie nickte. »Deshalb bin ich überhaupt hierhergefahren – um mich um sie zu kümmern. Ich habe es doch telegrafiert.«
    »Davon wusste ich nichts. Das tut mir leid. Kann ich sie sehen?«
    Helène nickte. »Aber erst heute Abend. Sie schläft jetzt, zum Abendessen wird sie herunterkommen, vielleicht.«

Großmutter
    Wilhelm betrat den kleinen Raum, in dem er schon so viele Nächte geschlafen hatte. Er ließ die Tür leise hinter sich ins Schloss fallen und spürte, wie sich ein Gefühl tiefen Friedens in ihm ausbreitete. Seltsam, dachte er, es ist, als hätte dieses Zimmer all die Jahre nur auf mich gewartet.
    Es war nicht nur das Zimmer, es war ebenso der Blick auf die Landschaft, die von Raureif überzogen war und die ihn in ihren Bann schlug. Vom Fenster aus konnte er nicht nur die Weinberge sehen, die sich kahl bis zum Horizont erstreckten, sondern auch den Rhein-Marne-Kanal, auf dem im Sommer Lastkähne Getreide und Weinfässer transportiert wurden. Als er sich zur anderen Seite wandte, fiel sein Blick auf das kleine Haus am Ende des Anwesens. Wilhelm konnte ein Licht in der Küche erkennen, das schwächer wurde, je

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