Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
machen.«
»Warum eigentlich nicht?« Ich hielt mich an dem Haltegriff neben der Tür fest, weil die Kutsche über ein Schlagloch rollte. »Diese blödsinnigen Spielregeln, die die Alten sich für das Zeitreisen ausgedacht haben – vielleicht sind sie verhandelbar.«
»Ich habe José schon mehrmals deswegen gefragt«, sagte Sebastiano. »Einmal kannte ich einen Jungen, er war der Bote im Jahr dreizehnhundertachtzig. Er war ein paar Jahre jünger als ich und ein wirklich netter Bursche. Eines Tages trat er sich einen rostigen Nagel in den Fuß und bekam eine Blutvergiftung. Ein paar Penizillintabletten hätten ihm bestimmt helfen können. Ich habe José angebettelt, eine Ausnahme zu machen und Medikamente aus der Zukunft zu holen. Doch er meinte, es läge nicht in seiner Macht. Der Junge starb, und ich musste es tatenlos mit ansehen.«
Ich war entsetzt. »Soll das heißen, José konnte nicht helfen? Oder wollte er es bloß nicht?«
»Ich denke, er konnte es nicht. Aber ganz sicher bin ich nicht. Wir müssen uns an Regeln halten, so viel ist klar, doch José schweigt sich darüber aus, ob diese Regeln willkürlich festgelegt wurden oder einem Naturgesetz folgen.«
Ich dachte angestrengt nach. »Vielleicht hätte man es mit der Maske versuchen können.«
»Was versuchen?«
»Dinge aus der Zukunft in die Vergangenheit mitzunehmen. Du weißt, dass die Maske Wünsche erfüllt. Vielleicht könnte man auf diese Weise Menschen wie Mr Scott helfen. Wenn ich es mir sehr fest wünschen würde …«
»Die Maske ist aber nicht mehr da.«
Ich seufzte kläglich. »Weiß ich doch. Aber wenn wir rausfinden, wer sie mir weggenommen hat, können wir sie uns doch wiederholen, oder?«
Sebastiano wandte sich mir aufmerksam zu. »Willst du damit auf etwas Bestimmtes hinaus?«
»Ich denke, dass derjenige, der die Maske jetzt hat, sich oft in unserer Nähe aufhält. Wir müssen nur rauskriegen, wer es ist.«
»Das können mehr als ein Dutzend Leute sein. Hast du einen Verdacht?«
»Nein«, gab ich zu. »Nicht den geringsten.«
Doch bald sollten wir über diese Frage Gewissheit haben.
Der Ball fand in einem eher schmucklosen Gebäude in der King’s Street statt. Der große Tanzsaal war jedoch von eindrucksvollen Ausmaßen. Kronleuchter aus Kristall und gewaltige Wandspiegel verliehen ihm ein prachtvolles Flair. Die Veranstaltung selbst war für mich allerdings eine einzige Enttäuschung. Der ganze Abend war eine steife, zeremonielle Angelegenheit, bei der es offensichtlich nur darauf ankam, gesehen und für attraktiv befunden zu werden, was vor allem für die Frauen im heiratsfähigen Alter zu gelten schien. Die Art, wie sie von den anwesenden Männern taxiert wurden, ging schon beinahe in Richtung Fleischbeschau.
Eine richtige Party war es auf keinen Fall, dafür ging es viel zu förmlich und unlustig zu. Die Mädchen waren fast alle deutlich jünger als ich und standen in sittsamer Haltung herum, bewacht von ältlichen Damen in pompösen Abendroben. Männer waren in unterschiedlichen Altersklassen vertreten, aber die meisten waren unter dreißig und allesamt ähnlich gestylt – enge Kniehosen, üppige Halstücher, Brutus-Frisur. Wenn sie nicht gerade damit beschäftigt waren, die Mädchen zu begutachten oder zum Tanz zu führen, lehnten sie mit blasierter Miene an der Wand oder unterhielten sich in kleinen Gruppen – unter anderem auch über Sebastiano und mich, denn wir waren Gegenstand zahlloser neugieriger Blicke.
Die Musiker spielten Stücke für Reigentänze, die eher trist als flott klangen, und entsprechend verhalten fielen die Bewegungen der tanzenden Paare aus. Ein paar kleine, mit ernster Miene ausgeführte Hopser waren das Äußerste an Bewegungsfreude. Es wurde Cotillon und Scotch Reel getanzt. Walzer und Quadrille waren zwar im Kommen, wie ich von Mr Merieux wusste, aber bei Almack’s war man in dieser Hinsicht noch ein bisschen rückständig. Die Patronessen, die für die Organisation der Bälle und die Auswahl der Tänze zuständig waren, hatten einen konservativen Geschmack. Und anscheinend waren sie auch sparsam, denn das Essen, das zu fortgeschrittener Stunde in den Nebenräumen ausgeteilt wurde, war miserabel – es bestand aus trockenem Kuchen und dünnen, labbrigen Schnittchen. Auch die Getränke konnten das nicht rausreißen, denn es gab nur fade, lauwarme Limo und Tee.
Sebastiano und ich tanzten zusammen einen Cotillon, weil wir den einigermaßen draufhatten. Jedenfalls hatte ich gedacht ,
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