Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Minette dort eintraf. Auch ums Bezahlen hatte Marie sich schon gekümmert, ich konnte es also gleich mitnehmen. Es juckte mich in den Fingern, den weichen Baumwollstoff, in den das Kleid eingewickelt war, zur Seite zu schlagen und einen Blick zu riskieren, doch Minette stand neben mir und hätte mich garantiert bei Marie verpetzt. Also klemmte ich mir das weiche, verheißungsvoll knisternde Bündel unter den Arm und bedankte mich höflich bei dem Schneidermeister.
»Philippe ist nicht zufällig zu Hause, oder?«, erkundigte ich mich. Wenn ich schon hier war, konnte ich auch gleich die Gelegenheit nutzen, ihm kurz Hallo zu sagen und mich noch einmal für seine Hilfe zu bedanken.
»Der Junge ist schon wieder im Theater«, sagte sein Vater missmutig. Anscheinend konnte er das Interesse seines Sohnes für die Bühnenkunst nicht teilen. Vielleicht mochte er aber auch den wahren Grund für Philippes Begeisterung nicht.
Er warf mir einen fragenden Blick zu. »Das Kleid ist für Euch, nicht wahr?«
»Ja«, bestätigte ich seine Vermutung. »Ich bin schon sehr gespannt. Allerdings musste ich der Herzogin von Chevreuse versprechen, es mir noch nicht anzuschauen.«
»Ich weiß, deshalb ist es ja auch eingewickelt.« Er deutete auf das Bündel. »Übrigens, Philippe hat es entworfen und genäht.«
»Oh, wirklich?« Jetzt war ich noch neugieriger. Und ehrlich erfreut. Hoffentlich würde ich noch Gelegenheit finden, Philippe dafür zu danken. Und ihm zu sagen, wie toll das Kleid war. Dass es toll war, stand für mich außer Frage, denn wenn es nur halb so umwerfend war wie die Gewänder, die er für Cécile kreiert hatte, wäre es schon perfekt.
Auf dem Rückweg schaute ich öfter hinter mich, doch da war niemand. Jedenfalls niemand, der mich verfolgte. Die Operation Free Brilli (das war meine heimliche Bezeichnung dafür) konnte ihren Lauf nehmen. Zuerst begleitete ich Minette zurück zur Place Royale. Sie wusste, dass ich noch etwas vorhatte, allerdings glaubte sie, ich hätte ein Rendezvous. Was ja im Grunde sogar stimmte, nur dass es rein geschäftlich war. Ich wartete, bis sie mitsamt dem Kleid im Haus verschwunden war, und ging dann mit schnellen Schritten weiter. Inzwischen war es ziemlich dunkel geworden. Das mitgeführte Windlicht leistete mir treue Dienste. Die Straßen hatten sich weitgehend geleert, nur in der näheren Umgebung der Schenken war noch was los. Ab und zu kam ich an einer vorbei und achtete jedes Mal darauf, keinem der dort ein und aus gehenden Typen in die Quere zu kommen. Sobald Männer auftauchten, denen anzusehen war, dass sie einen über den Durst getrunken hatten, wechselte ich die Straßenseite und legte einen Zahn zu. Oder ich versteckte mich in einer Seitenstraße oder einem Hauseingang und wartete, bis ich unbehelligt weitergehen konnte. Nur einmal konnte ich nicht schnell genug ausweichen. Zwei Typen, die meterweit nach Schnaps stanken, kamen auf mich zu getorkelt und versperrten mir den Weg. Sie machten mir ein Angebot, von dem ich nur die Hälfte verstand, weil sie so lallten. Aber diese Hälfte reichte mir schon, um blitzschnell um die nächste Ecke zu verschwinden. Einer der beiden setzte mir nach, war jedoch zu betrunken, um mehr als zehn Meter zu rennen. Drei Häuser weiter hatte ich ihn abgehängt. Leider war ich gezwungen, deswegen einen Umweg zu machen, weil ich ein Stück zurückgelaufen war, aber das war immer noch das kleinere Übel. Es hing zu viel davon ab, dass ich unbeschadet mein Ziel erreichte – in der Tasche an meinem Gürtel beförderte ich neben dem Pfandschein nämlich eine enorme Summe Geld. Marie hatte mir einen blinkenden Stapel von Goldmünzen hineingezählt, so viele, dass mir ganz schwindelig davon geworden war. Und sie hatte es nicht einmal mit besonderer Ehrfurcht getan, sondern eher so, als wäre es Kleingeld. An dieser Sorglosigkeit hatte sich einmal mehr gezeigt, wie sich ihr fast schon legendärer Reichtum in der Praxis auswirkte: Geld spielte für Marie keine Rolle, sie hatte es einfach. Ich selbst kam mir mit diesem Vermögen in der Tasche vor wie eine unter Überspannung stehende Stromleitung. Ständig blickte ich mich nervös nach allen Seiten um. Mittlerweile sah ich überall Verfolger, auch da, wo garantiert keine waren. Die beiden Mönche zum Beispiel, die betend aus der Kirche beim Friedhof kamen – hatte nicht einer von ihnen mich gerade tückisch angesehen? Oder die dicke Frau, die zwei Straßen weiter mit einem Korb voller Runkelrüben um
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