Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
die Ecke bog – war sie nicht in Wahrheit eine von Richelieu geschickte Spionin?
Je näher ich der Seine kam, umso drängender wurde das Gefühl, dass ich tatsächlich verfolgt wurde. Als ich das alte Kastell unweit des Ufers passiert hatte und den Pont Notre-Dame betrat, spürte ich es fast körperlich. Jemand beobachtete mich. Dieser Eindruck war so stark, dass ich mitten auf der Brücke herumfuhr. Da war ein Mann! Er wich blitzartig in einen Hauseingang zurück, aber für den Bruchteil einer Sekunde sah ich sein Gesicht.
Es war Sebastiano.
Vor Schreck stockte mir der Atem, und mein Herzschlag setzte einen Takt aus, während ich in Windeseile meine Optionen abwog. Ich hatte zwei Möglichkeiten – entweder ging ich direkt zu ihm hin und redete Klartext mit ihm. Oder ich drehte mich wieder um und setzte meinen Weg fort. Ich entschied mich für die zweite Alternative und tat so, als hätte ich ihn nicht bemerkt. Mir blieb gar keine andere Wahl. Ich musste das Collier holen, sonst war die Königin aufgeschmissen. Weil Sebastiano wieder mal für den Kardinal unterwegs war, musste ich ihn folglich irgendwie abhängen, aber das würde sicher nicht klappen, indem ich einfach davonrannte. Ich wusste genau, dass er viel schneller war als ich und mich deshalb jederzeit problemlos einholen konnte. Hier halfen nur ein paar Tricks, zum Beispiel einer, den ich von ihm gelernt hatte.
Zunächst ging ich mit gleichmäßigen Schritten weiter und drehte mich nicht mehr um. Nach dem Verlassen der Brücke hielt ich mich rechts und bog in eine enge Gasse ein. Dort fand ich sofort, was ich brauchte – einen Torbogen. Ich schlüpfte in den Gang und blies die Laterne aus. In völliger Finsternis und mit angehaltenem Atem wartete ich, bis die Stiefelschritte von Sebastiano näher kamen. Ohne innezuhalten, ging er an dem Torbogen vorbei. Erst, nachdem das Geräusch seiner Schritte in der Ferne verklungen war, wagte ich mich aus meinem Versteck hervor und eilte zurück zu der Gasse, von der ich vorhin abgebogen war. Inzwischen hatten meine Augen sich halbwegs an die Dunkelheit gewöhnt. Der abnehmende Mond hing milchig weiß über den Dächern und überzog die Umgebung mit seinem schwachen Schein. Aus manchen Fenstern fiel Kerzenlicht und erhellte ein Stück des vor mir liegenden Wegs. Trotzdem trat ich gelegentlich in glitschigen, stinkenden Abfall, und einmal stolperte ich zu meinem Entsetzen über einen Menschen, der an der Hauswand hockte. Als ich gegen ihn prallte, richtete er sich fluchend auf und bedachte mich mit unflätigen Beschimpfungen. Ob er ein Bettler war oder bloß auf der Straße seinen Rausch ausschlafen wollte, ließ sich auf die Schnelle nicht feststellen. Ich entschuldigte mich kurz, rappelte mich hoch und eilte weiter.
Während des restlichen Weges wurde ich nicht verfolgt. Ich hatte Sebastiano erfolgreich in die Irre geführt, was mich mit einem Hauch von Genugtuung erfüllte. Ich war immer noch sauer auf ihn. Sobald er sich wieder erinnerte, gab es einiges zwischen uns klarzustellen.
Marie hatte mir genau beschrieben, wo sich die Pfandleihe befand.
»Es ist das zweite Haus in der Gasse zwischen Kirche und Fluss. Über der Tür hängt ein Schild mit drei goldenen Kugeln.«
Mit Kirche hatte sie Notre-Dame gemeint, die auch bei Nacht kaum zu verfehlen war. Vor dem mondhellen Himmel bildete die Kathedrale einen riesigen Schatten. Als ich näher kam, sah ich vor dem mittleren der drei großen Tore einen Nachtwächter, eine winzige Gestalt vor dem gewaltigen Bauwerk. Auf dem Platz vor der Hauptfassade brannten Fackeln. Die Szenerie wirkte surreal und ein bisschen unheimlich, wie in Der Glöckner von Notre-Dame . Fast schien es, als könnten die großen steinernen Statuen aus ihren Nischen steigen oder als würde gleich eines der geflügelten, dämonenartigen Fabelwesen von der Fassade herunterflattern und nach mir schnappen.
Der Nachtwächter blickte mir nach, als ich in die schmale Straße rechts neben der Kirche einbog, doch er machte keine Anstalten, mich aufzuhalten. Das Haus des Pfandleihers war in der dunklen Gasse fast genauso schwarz wie die übrige Umgebung, aber als ich lange genug das über der Tür herausragende Schild angestarrt hatte, konnte ich die drei Kugeln erkennen. Im Mondlicht sahen sie allerdings eher grau als golden aus.
Zögernd schlug ich den Türklopfer gegen das rissige Holz der Pforte. Als ich von drinnen ein Schlurfen und dann das Scharren eines Riegels hörte, hielt ich
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