Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
unwillkürlich die Luft an, was zu einem kurzen, erschrockenen Japsen führte, als im nächsten Moment die Tür geöffnet wurde. Eine Kerze erschien in dem Spalt, und darüber ein faltenzerfurchtes Gesicht, das von langen grauen Schläfenlocken eingerahmt war.
»Seid Ihr der Pfandleiher?«
Der Mann starrte mich bloß abwartend an.
»Ich bin der hilfreiche Engel«, erklärte ich. Das war das Passwort, das Marie dem Pfandleiher für die Abholung mitgeteilt hatte. Ich fand es blöd, aber nach Lage der Dinge konnte ich es ja nicht einfach rückwirkend wieder ändern.
Stumm öffnete der Alte mir die Tür und ließ mich eintreten. Die Kerze erhellte den Raum nur dürftig. Eine dunkle, niedrige Decke, lange Holzbohlen auf dem Fußboden, ein mit mehreren Vorhängeschlössern gesicherter Schrank, eine abgeschabte Theke mit einer kleinen Waage, einer Lupe und Schreibzeug.
»Hier ist der Pfandschein«, sagte ich. »Und das Geld.«
Ich packte alles auf den Tresen. Der alte Mann prüfte mit der Lupe zuerst das Dokument, dann zählte er mit überraschend flinken Fingern die Goldstücke und ließ sie in einem Ledersack verschwinden, den er am Gürtel trug. Anschließend sperrte er umständlich den Schrank auf, zog eine ebenfalls mit Schlössern bestückte Kassette hervor und öffnete sie. Den Kerzenleuchter hatte er auf der Theke abgestellt. Im flackernden Licht der Flamme sah ich, dass er eine Kippa trug. Daher auch die langen Locken an den Schläfen – er war Jude. Bei dem Anblick fiel mir auch wieder ein, dass in den früheren Jahrhunderten Christen keine Zinsen erheben durften und deshalb das Kreditwesen ein traditionell jüdisches Gewerbe war.
Der Pfandleiher nahm eine kleine Samtschatulle aus dem Kasten und klappte sie auf, um mir den Inhalt zu zeigen. Beim Anblick des glitzernden Colliers hielt ich abermals die Luft an, doch diesmal entwich sie mir in einem leisen, ehrfürchtigen Atemzug. Noch nie hatte ich so schönen Schmuck gesehen! Die feinen Facetten der Edelsteine fingen das Kerzenlicht ein und verwandelten es in ein strahlend blauweißes Funkeln. Ohne es zu merken, streckte ich die Hand danach aus, aber bevor ich das Collier berühren konnte, klappte der Pfandleiher die Schatulle wieder zu. Ich zuckte bei dem unerwartet lauten Geräusch zusammen, doch der alte Mann schob die Schatulle über den Ladentisch zu mir hin und blickte mich ungeduldig an. Rasch nahm ich sie an mich und verstaute sie sorgfältig in der Gürteltasche, bevor ich dem Pfandleiher zur Tür folgte.
Schweigend ließ er mich hinaus und verriegelte von innen umgehend wieder die Tür. Während der ganzen Transaktion hatte er kein einziges Wort gesprochen, aber es hatte ja auch ohne Unterhaltung bestens geklappt. Die Brillanten hatte ich schon mal. Jetzt musste ich sie nur noch sicher zurückbringen.
Auf dem Weg zur Brücke merkte ich, dass ich wieder verfolgt wurde. Ich verfluchte mich für meine Naivität. Hatte ich wirklich geglaubt, dass Sebastiano sich so leicht abschütteln ließ? Doch diesmal würde ich es besser hinkriegen. Er sollte mich kennenlernen!
In einem raffinierten Zickzackkurs flitzte ich durch die Gassen der Île de la Cité und schlüpfte in alle möglichen Winkel, um ihn von meiner Spur abzubringen. Nacheinander versteckte ich mich in einem dunklen Hauseingang, hinter einem Pferdestall und unter einem leeren Räderkarren. Jedes Mal lauschte ich dem Geräusch der näher kommenden und sich wieder entfernenden Schritte. Immer, wenn ich glaubte, ihn los zu sein, lief ich weiter – aber kurz darauf hörte ich ihn wieder hinter mir.
Allerdings hatte sich an der Verfolgung etwas geändert, das wurde mir bald klar. Das war kein Fall von Beschattung mehr. Er wollte mich einholen. Es war wie in meinem Traum, düster und bedrohlich.
Mittlerweile war ich in Schweiß gebadet. Dass ich außerdem von oben bis unten verdreckt war, merkte ich wegen der Dunkelheit nur an dem Gestank, den mein Umhang verströmte. Unter dem Karren hatte außer mir definitiv noch was anderes gelegen. Ich tippte auf eine Ladung Pferdeäpfel. Logisch, dass es mit dieser Geruchshilfe nicht weiter schwierig war, mir auf den Fersen zu bleiben. Kurz entschlossen streifte ich den Umhang ab und ließ ihn einfach fallen, bevor ich weiterrannte und mich erneut versteckte – diesmal hinter einem windschiefen Zaun, an dem Stangenbohnen in die Höhe rankten. Dass es sich um Bohnen handelte, erkannte ich an einer davon, die genau vor meinem Gesicht baumelte, während
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