Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Zeit für die Zubereitung seines Hirschragouts gehabt, eine Aufgabe, die laut Monsieur Mirabeau sehr diffizil war und höchste Konzentration erforderte. Ich behauptete sofort, mich mit Zahlen nicht auszukennen (was nach den Maßstäben meiner eigenen Zeit nicht mal wirklich gelogen war), worauf er mit trübseligem Achselzucken meinte, dass wohl auch der tüchtigste Lehrer einem Frauenzimmer nicht den fehlenden Verstand eintrichtern könne.
Die Zeit verging trotz der anstrengenden Arbeit quälend langsam. Eine Uhr brauchte ich nicht, denn praktischerweise schlugen die Glocken der umliegenden Kirchtürme immer zur vollen Stunde. Manche Glocken läuteten auch im Viertel-und Halbstundentakt, auf die Weise wusste man stets, wie spät es war. Da in Paris fast an jeder Ecke eine Kirche oder ein Kloster mit einem Glockenturm stand, war das Gebimmel nicht zu überhören. Ich schuftete Glockenschlag um Glockenschlag, aber keine Spur von Sebastiano. Allmählich wurde ich nervös und begann mich zu fragen, ob Gaston richtig recherchiert hatte. Am Ende kam Sebastiano gar nicht täglich zum Essen her, sondern höchstens ein-, zweimal die Woche. Dann würde ich wirklich dumm dastehen.
Im Goldenen Hahn herrschte immer noch reger Betrieb, auch wenn das Gedränge etwas nachgelassen hatte. Es kamen hauptsächlich Markthändler und Ladenbesitzer, manche zusammen mit ihren Frauen, lauter gesetzte Herrschaften, die einfach nur in Ruhe essen wollten. Doch dann wuchs meine Aufregung, denn um kurz nach eins trudelten immer mehr Musketiere ein. Sie hatten bereits einen Tisch komplett belegt.
»Wo kommen denn die vielen Musketiere her?«, fragte ich gespielt beiläufig Monsieur Mirabeau, als ich in der Küche die nächste Ladung Ochsenbraten holte.
»In der Nähe gibt es eine Kaserne der Gardeeinheiten. Aber viele von den jungen Herren wohnen auch hier in der Umgebung, die essen jeden Tag bei uns. Sehr gute Kunden, alter Landadel die meisten. Tüchtige Offiziere. Der ganze Stolz von König und Kardinal. Sei höflich zu ihnen, mein Kind!«
Die Musketiere erschienen zum Teil ebenfalls in weiblicher Begleitung. Zuletzt kamen fünf gut gelaunte Gardisten herein, die zwei Mädels in meinem Alter dabeihatten. Die beiden hatten sich ziemlich aufgebrezelt, mit Rouge auf den Wangen, Löckchenfrisuren und reichlich Spitze am Ausschnitt. Doch auch die Gardisten hatten sich in Schale geworfen. Die wegen der Hitze offen stehenden Wämser waren mit Goldlitzen bestickt, die Hemden üppig gerüscht, die Stiefel auf Hochglanz gewienert und die Waffengurte mit Silber beschlagen. Die großen Federhüte flogen auf eine neben der Eingangstür angebrachte Hutablage, während die Wehrgehenke an Haken hinter den Sitzbänken aufgehängt wurden, wo ihre Eigentümer jederzeit Zugriff darauf hatten. Ohne in ihrer fröhlichen Unterhaltung innezuhalten, breiteten sie sich am letzten freien Tisch aus. Schwitzend und mit schweren Beinen schleppte ich mich zu den Neuankömmlingen, um ihre Bestellungen aufzunehmen. Meine Hoffnung, dass Sebastiano an diesem Mittag noch aufkreuzte, tendierte mittlerweile gegen null. In diesem Augenblick kam jedoch noch ein Nachzügler herein. Er nahm seinen Hut ab und legte ihn zu den anderen, bevor er sich suchend umsah. Vor lauter Schreck ließ ich die Wachstafel fallen. Es war Sebastiano.
»Ah, Sébastien, da bist du ja!«, rief eine der jungen Frauen mit kokettem Lächeln. »Komm her, wir haben dir einen Platz freigehalten!«
Lächelnd durchquerte Sebastiano den Raum. Mich sah er gar nicht an, nur seine Freunde am Tisch. Beim nächsten Schritt trat er auf meine Wachstafel, die unter seinem Stiefel in zwei Stücke zerbrach. Ich bückte mich hastig, um sie aufzuheben, was ich besser nicht getan hätte – Sebastiano bückte sich nämlich im selben Moment, was dazu führte, dass wir heftig mit den Köpfen zusammenstießen.
»Was zum …« Verärgert richtete er sich auf und rieb sich die Stirn. Dann erkannte er mich, und sein Gesicht nahm einen gewittrigen Ausdruck an. »Du?«
Ich rieb mir ebenfalls die Stirn. Es tat ziemlich weh, ich spürte, wie an der Stelle eine Beule heranblühte.
»Tut mir leid«, sagte ich lahm.
»Sébastien, ist das nicht das Mädchen von heute Morgen? Die Kleine, die sich dir zu Füßen geworfen hat?«
Allgemeines Gelächter folgte auf die Frage des jungen Gardisten, der ganz außen auf der Bank saß. Er war ein nett aussehender Typ Anfang zwanzig, mit braunen Locken und dicht bewimperten dunklen Augen. Er
Weitere Kostenlose Bücher