Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
noch nicht das Schlimmste – er erwiderte ihren Blick und lächelte dabei! Ich konnte es nicht fassen. Zähneknirschend stand ich da und überlegte, ob ich nicht noch etwas Wein verschütten sollte. Ganz aus Versehen. Und am liebsten auf alle beide.
Jacques lächelte mich entwaffnend an. »Keine Sorge, Kleine. Meine Einladung war ernst gemeint. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Und der Fehlgriff vorhin tut mir leid, ich hoffe, du verzeihst mir meine Unverschämtheit.«
»Vergeben und vergessen«, sagte ich geistesabwesend.
»Wo hast du Schreiben gelernt?«, fragte Sebastiano unvermittelt.
»Natürlich in der Schule.« Die Antwort war mir herausgerutscht, bevor ich nachdenken konnte.
»Wie lange hattest du Unterricht?«
»Äh … bloß ein paar Jahre.« Dass es dreizehn waren, konnte ich unmöglich zugeben, kein Mensch hätte mir das geglaubt.
»Ich finde es komisch, wenn Frauen Unterricht nehmen«, quengelte die Zicke. »Das tun doch bloß Nonnen. Oder diese adligen Pflänzchen mit zu viel Geld.«
»Sehr ungewöhnlich, in der Tat«, sagte Sebastiano mit gedehnter Stimme. Seine Augen hatten sich verengt, auch in ihnen stand mit einem Mal ein neu erwachtes Interesse, wobei ich mir jedoch nicht sicher war, ob es dieselbe Sorte war wie bei Jacques.
»Anna! An die Arbeit!«, brüllte Monsieur Mirabeau aus der Küche, womit meine Unterhaltung mit den Gästen vorläufig beendet war. Doch der erste Schritt war gemacht. Ich hatte Sebastianos Neugier geweckt, und bereits am kommenden Abend würde ich Gelegenheit haben, ihn näher kennenzulernen. Oder vielmehr umgekehrt – er sollte mich kennenlernen, denn ich kannte ihn ja schon. Und dann würde er sich ganz schnell wieder an mich erinnern. Hoffentlich. Alles wird gut!, dachte ich.
Und in diesem Augenblick glaubte ich felsenfest daran.
Während der nächsten halben Stunde ergab sich keine Gelegenheit mehr, mit Sebastiano zu reden, doch ich merkte, wie mir seine Blicke folgten. Zumindest widmete er mir genauso viel Aufmerksamkeit wie der Zicke. Das hielt ich für ein gutes Zeichen. Ich war ihm aufgefallen, und das war erst mal die Hauptsache.
Nachdem er und seine Freunde mit dem Essen fertig waren und die Zeche bei Monsieur Mirabeau bezahlt hatten, brachen sie ziemlich schnell auf. Ich ballte die Fäuste, als ich sah, wie die Zicke Sebastiano auf dem Weg nach draußen unterhakte. Er unternahm nichts dagegen. Aber wenigstens tat er auch nichts, um ihre Annäherungsversuche zu erwidern.
»Eine tüchtige neue Bedienung habt Ihr da«, hörte ich Jacques beim Rausgehen zu meinem Arbeitgeber sagen.
»Aber sie sollte nicht mit offenem Haar servieren«, setzte die Zicke mit einem mäkeligen Blick über die Schulter hinzu.
Das trug mir einen weiteren Anschiss von Monsieur Mirabeau ein, doch den ließ ich an mir abperlen und flocht mir wortlos die Haare wieder zum Zopf. Jetzt musste ich nur noch die restliche Zeit bis zum Feierabend hinter mich bringen. Leider stellte sich das als nicht ganz einfach heraus, denn Monsieur Mirabeau schien zu erwarten, dass ich nonstop bis zur Sperrstunde durchschuftete. Immerhin durfte ich, nachdem der größte Andrang nachgelassen hatte, selbst auch mal was essen. Zwar bloß in der Küche und im Stehen, aber es schmeckte erstaunlich gut. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich mittlerweile geworden war. Nacheinander verdrückte ich eine Portion Erbsensuppe, eine Scheibe Braten mit Brot und zum Schluss noch ein großes Stück Käse. Dazu trank ich zwei Becher Wasser, in der Hoffnung, dass der Brunnen, aus dem es stammte, nicht mit schädlichen Keimen verseucht war.
Danach musste ich das Latrinenhäuschen im Hinterhof aufsuchen, eine grauenhaft stinkende Lokalität zwischen Hühnerstall und Abfallkübel. Ich stellte einen neuen Weltrekord im Luftanhalten auf, aber es half leider nicht viel. Hinterher war ich erst recht entschlossen, alles zu tun, um mich und Sebastiano schleunigst zurück in die Zukunft zu bringen.
Anschließend bediente ich noch ein paar Gäste, während ich unablässig darüber nachsann, wie ich am besten schnellstmöglich von hier verschwinden konnte. Vor der Vesper – von meinen früheren Abstechern in die Vergangenheit wusste ich, dass damit das Sechs-Uhr-Läuten gemeint war – wollte ich mich unbedingt noch waschen und umziehen, was bedeutete, dass ich allmählich aufbrechen musste. Schließlich kam mir der Zufall in Gestalt eines stark angetrunkenen Gastes zu Hilfe. Laut singend und strenge
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