Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
sodass ich genug Zeug zum Wechseln hatte. Die Unterwäsche bestand aus einer Art Schlabberslip, der mit Bändeln zusammengehalten wurde, sowie aus einem genauso schlabberigen Hemdchen, das ich wegen der Wärme aber lieber wegließ.
»Sehr ordentliche Sachen«, befand Cécile. Sie rülpste verhalten. »Wo hast du die so schnell hergekriegt?«
»Hab ich mir unterwegs in einem Laden besorgt.«
»Vom Geld deines Cousins? Der dir auch die Stelle im Goldenen Hahn besorgen will?«
»Genau.«
Philippe hatte ihr von meinem Cousin Gaston erzählt, den ich zwischenzeitlich aufgesucht hatte und der mich finanziell unterstützte. Cécile hatte das nicht weiter hinterfragt, sondern einfach nur das von Philippe überreichte Kostgeld eingesteckt.
»Hast du schon mal als Bedienung gearbeitet?«, wollte sie wissen.
»Nein, aber ich werde es hoffentlich schnell lernen.«
»Gewiss. Besonders viel nachdenken muss man nicht dabei. Nur schnell sein, vor allem im Ausweichen. Wichtig ist, dass du den Kerlen gleich am Anfang zeigst, wie weit sie gehen dürfen.«
»Was meinst du damit?« Ich stand vor dem Spiegel und betrachtete mich. Nicht übel, jedenfalls im Vergleich zu dem Anblick, den ich heute früh nach dem Aufstehen geboten hatte.
»Na, beispielsweise, ob du dich anfassen lässt. Das tun die männlichen Gäste nämlich besonders gern, vor allem, wenn man gerade die Hände voll hat und sich über den Tisch beugt.«
Ich zupfte das Kleid zurecht und zog die Schnüre unter den Achseln fest, bis es richtig saß.
»Ich lasse mich ganz bestimmt nicht anfassen«, erklärte ich.
»Eben. Das musst du ihnen klarmachen. Warte. Wir probieren es mal aus.« Sie warf die Blätter mit ihren Notizen zur Seite und sprang auf. Mit erwartungsvoller Miene drückte sie mir einen großen Parfümflakon in die rechte Hand und den halbvollen Weinkrug in die linke. »Stell dir vor, das eine wäre ein Bierhumpen und das andere eine Suppenschale. Und ich bin jetzt ein Gast.« Sie legte eine Hand auf meinen Busen und blickte mich aufmunternd an. »Na? Was machst du jetzt?«
Verständnislos starrte ich zuerst die Hand an und dann Cécile. Es dauerte zwei Sekunden, bis der Groschen fiel. Ich trat der Einfachheit halber einen Schritt zurück, sodass ihre Hand ins Leere fasste, aber sie schüttelte missbilligend den Kopf.
»Das ist nicht genug. Sobald du das nächste Mal an den Tisch kommst, wird der Kerl es wieder tun. Einer von dieser Sorte ist immer dabei. Manche kommen schon morgens besoffen an, die kennen keine Rücksicht.«
»Verstehe.« Ich stellte den Bierhumpen und die Suppenschale ab und tat dann so, als würde ich ihr eine kleben, doch sie lachte bloß.
»Vom Ansatz her ist das schon ganz gut. Aber glaub mir, eine Ohrfeige nützt nicht viel. Das macht denen bloß Lust auf mehr. Nein, wenn es ums Abschrecken geht, helfen nur durchschlagende Maßnahmen. So macht man das.« Sie griff nach dem Parfümflakon und schüttete mir pantomimisch den Inhalt ins Gesicht. Leider war der Verschluss nicht richtig dicht. Ein paar Spritzer widerliches Veilchenwasser trafen mich an der Stirn, ich wischte es weg und fing an zu kichern. »War das jetzt das Bier oder die Suppe?«
»Das ist meine Cousine Anna«, sagte Gaston zu dem Wirt. »Sie stammt aus Deutschland und musste vor den Kriegswirren fliehen. Ihre Mutter ist in Paris geboren, deshalb spricht Anna so gut Französisch.«
Wir hatten uns praktischerweise auf diese Legende geeinigt, nachdem sie nun schon einmal ins Leben gerufen war, so konnte ich mich wenigstens nicht in Widersprüche verstricken, falls wieder irgendwelche Fragen aufkamen.
Der Wirt hieß Mirabeau und war hocherfreut, um nicht zu sagen begeistert. Vor lauter Dankbarkeit strahlte er über das ganze Gesicht, denn er war davon überzeugt, dass der Himmel seine Gebete erhört hatte. Wie es der Zufall so wollte, hatte vor kaum einer Stunde seine bisherige Bedienung gekündigt.
»Einfach so, aus heiterem Himmel!«, sagte Monsieur Mirabeau. Sein Backenbart bebte vor Entrüstung. »Julie sagte, sie habe eine bessere Stelle gefunden! Und das mir! Nachdem sie es so gut bei mir hatte! Sie musste ja nicht mal spülen!«
Ob Julies neue Stelle besser war, blieb Ansichtssache, aber in jedem Fall hatte sich ihre Arbeitszeit beträchtlich verkürzt. Künftig musste sie zweimal wöchentlich Gastons Wohnung und sein Plumpsklo putzen, für dasselbe Geld, was sie bisher im Goldenen Hahn verdient hatte. Nachdem Gaston sie auf diese Weise hinter Monsieur
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