Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)

Titel: Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
Vom Netzwerk:
Mirabeaus Rücken abgeworben hatte, war er dort zum Mittagessen aufgelaufen und hatte, rein zufällig natürlich, eine Lösung für Monsieur Mirabeaus plötzliches Problem vorgeschlagen – mich.
    Das Wirtshaus lag in der Rue Saint-Denis, nicht weit von den Markthallen entfernt. Dicke Holzbalken stützten die niedrige Decke, und auch die Wände waren in Fachwerkbauweise errichtet. Der Gastraum wirkte mit seinen grob gezimmerten Tischen und Bänken wie eine große, gemütliche Bauernstube. Monsieur Mirabeau war ein beleibter, lebhafter Mann Ende dreißig, dem man sein Faible für gutes Essen auf den ersten Blick ansah. Das hatte er mit Gaston gemeinsam. Kaum hatten die beiden alle Details meines Jobs ausgehandelt – zwölf Stunden Arbeit täglich bei freier Kost und einer Bezahlung, die an Sklavenhaltung grenzte –, fingen sie an, über die beste Zubereitung eines Lammrückens zu fachsimpeln.
    Ich stand daneben und hörte nur mit halbem Ohr zu, während ich mich im Goldenen Hahn umsah. Im Schankraum gab es drei große Tische mit jeweils acht Sitzplätzen, machte also insgesamt bei voller Belegung zwei Dutzend Gäste. Derzeit waren jedoch nur acht Leute da, die über den Raum verteilt vor ihrem Mittagessen saßen und ab und zu neugierig herüberschauten.
    Nachdem Gaston und Monsieur Mirabeau sich darüber einig waren, dass Lammrücken mit Rosmarinkruste nicht so gut schmeckte wie Lammrücken mit Honigglasur, unterzog Monsieur Mirabeau mich einer genaueren Betrachtung.
    »Eure Cousine scheint mir noch recht jung«, befand er kritisch. »Höchstens halb so alt wie Julie.«
    »Sie kriegt ja auch nur den halben Lohn«, hielt Gaston ihm entgegen.
    »Woher wisst Ihr das?«
    Gaston überging die Frage elegant. »Außerdem wird sie doppelt so viele Gäste herlocken. Seht sie Euch doch nur an, wie niedlich sie ist.«
    »Hm«, machte Monsieur Mirabeau. »Das ist sie wirklich. Aber hat sie auch Erfahrung als Bedienung?«
    »Sie begreift sehr schnell. Alles, was sie hier tun muss, braucht Ihr nur einmal zu erklären, dann kann sie es. Ach so, ja, bevor ich es vergesse: Ihr dürft sie nicht schlagen. Sie hat ein empfindsames Gemüt.«
    Ich hatte es noch nie ausstehen können, wenn Leute in meiner Gegenwart über mich redeten, als wäre ich überhaupt nicht anwesend, doch in dem Fall hielt ich es für besser, mir die patzige Bemerkung zu verkneifen, die mir auf der Zunge lag. Vor allem zum Thema Schläge.
    Gleich darauf fand Gaston es an der Zeit, zu verschwinden und mich meinem Schicksal zu überlassen. Monsieur Mirabeau winkte ihm nach wie einem guten Freund, dann wandte er sich mir zu und klatschte auffordernd in die Hände.
    »Auf, auf, Mädchen! Worauf wartest du noch?! An die Arbeit!« Er scheuchte mich durch einen offenen Durchgang in die Küche, wo ich seine übrigen Angestellten kennenlernte – eine mondgesichtige Magd, die fürs Spülen und für den Ausschank zuständig war, und einen ältlichen Hilfskoch, der beim Kochfeuer stand und in einem dampfenden Kessel rührte. Es roch nach Rauch und Erbsensuppe. Schwaden erfüllten den Raum und umnebelten Monsieur Mirabeau, während er mir in kurzen Worten erklärte, worin meine Aufgabe bestand – aus genau drei Teilen, die er an den Fingern abzählte, damit ich sie mir leichter merken konnte. Erstens Bestellungen aufnehmen, zweitens auftragen, drittens abtragen. Das Abkassieren übernahm Monsieur Mirabeau selbst. Frauen taten sich sehr schwer mit so was, erklärte er mir. Auch Julie sei dazu nicht in der Lage gewesen.
    »Sie konnte überhaupt nicht rechnen«, sagte Monsieur Mirabeau. »Nicht einmal die einfachsten Summen konnte sie zusammenzählen.«
    Das machte mir Julie direkt sympathisch. Die geschilderte Arbeit kam mir nicht allzu schwierig vor. Es gab keine Speisekarte, zumal die meisten Leute sowieso nicht lesen konnten, und außerdem nur drei Gerichte, die zur Auswahl standen – Erbseneintopf mit Speck, Fleisch mit Brot und kalte Platte mit Schinken, Wurst oder Käse. An Getränken gab es ebenfalls nur drei Sorten: Rotwein, Weißwein und Bier. Die bestellten Mahlzeiten wurden auf einer großen Anrichte in der Küche bereitgestellt, die Getränke an der Theke eingeschenkt. Ich musste alles nur abholen und zu den Tischen tragen. Im Grunde war wirklich nichts dabei, selbst ein kleines Kind hätte das gekonnt.

    Eine Stunde später schwirrte mir der Kopf, und ich wusste nicht mehr, wo oben oder unten war. Dabei hatte alles ganz harmlos angefangen – mit einer Schürze.

Weitere Kostenlose Bücher