Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Die bekam ich von der Spülmagd mit der Bemerkung, ich werde sie brauchen. Doch ich verzichtete darauf, weil das Ding stank und mit schmierigen Flecken übersät war. Sobald Sebastiano auftauchte, wollte ich nicht schon wieder aussehen, als wäre ich auf dem Bauch durch halb Paris gerobbt. Schließlich sollte er einen guten Eindruck von mir kriegen – und sich idealerweise schnellstmöglich an mich erinnern, was umso besser funktionieren würde, je mehr ich mir selbst ähnelte statt einem Putzlumpen auf zwei Beinen.
Also fing ich ohne Schürze mit der Arbeit an, was sich bald als schwerer Fehler erwies, denn ich musste so viele überschwappende Suppenterrinen und fetttriefende Teller und Platten schleppen, dass die Vorderseite meines Kleides bald schlimmer aussah als die Schürze. Die acht Leute, die schon gegessen hatten, waren sozusagen nur die Frühschicht gewesen. Kaum hatte ich ihre leeren Teller, Näpfe und Essbretter abgeräumt, traf schon der nächste Schwung Mittagsgäste ein, und das waren richtig viele. Lärmend und hungrig drängten sie in den Schankraum, quetschten sich an die Tische und verlangten lautstark nach einer Bedienung, also nach mir. Der Laden war im Nu rappelvoll. Auf den Bänken saßen fast doppelt so viele Leute wie einkalkuliert, und alle wollten sofort ihr Essen. Etwas zu trinken natürlich auch, und davon möglichst viel. Ich rannte pausenlos zwischen den Tischen, der Küche und der Schanktheke hin und her und schwitzte dabei aus allen Poren, denn es wurde immer heißer. Die Fenster standen alle weit offen, doch das Hin-und Herlaufen war schlimmer als eine Doppelstunde Leichtathletik bei Herrn Schindelmeier, unserem Sportlehrer, den wir alle immer nur den Schinder genannt hatten. Hinzu kam, dass ich ständig in die Küche musste, wo es mindestens noch mal zehn Grad heißer war. In der dampfenden, saunaartigen Hitze löste sich mein Zopf auf und fiel mir in unordentlichen Strähnen ums Gesicht. Mein hübsches, ehemals sauberes Kleid wurde immer fleckiger, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er mit klebrigem Kaugummi gefüllt. Bei über dreißig Gästen konnte ich mir unmöglich merken, was jeder einzelne bestellt hatte, und entsprechend langsam ging es voran. Ein paarmal kam ich mit der falschen Mahlzeit an, andere vergaß ich ganz. Als die ersten Beschwerden laut wurden, stauchte Monsieur Mirabeau mich vor versammelter Mannschaft zusammen.
»Was bist du nur für ein dummes, träges Geschöpf! Soll ich meine Gutherzigkeit, dir Lohn und Brot zu bieten, schon so bald bereuen? Auf jeden Fall reut mich die Vereinbarung mit deinem Vetter, dich nicht schlagen zu dürfen, denn das täte ich jetzt nur zu gern!«
Die Leute an den Tischen lachten. Ich hörte es mir niedergeschmettert an und war schon fast so weit, die Brocken hinzuwerfen und zu Gaston zu gehen, damit er sich einen anderen Plan ausdachte, doch dann biss ich die Zähne zusammen und fragte Monsieur Mirabeau bei meinem nächsten Gang in die Küche, ob er was zum Schreiben habe.
Er starrte mich an wie ein Alien.
»Was willst du mit Schreibzeug, Mädchen?«
»Na, schreiben.«
»Du kannst schreiben?«, erkundigte er sich fassungslos.
»Ja. Ich will mir aufschreiben, was die Leute bestellen, dann geht es schneller.«
Immer noch konsterniert, holte er eine kleine Wachstafel nebst Griffel – Schreibblöckchen und Bleistifte gab es natürlich in dieser Zeit noch nicht. Mit der Tafel kam ich klar, nachdem ich erst raushatte, wie es funktionierte – mit dem spitzen Ende schrieb man, mit dem stumpfen, breiten Ende konnte man die Notizen wieder abziehen und hatte auf diese Weise Platz für neue. Die Schürze kam nun doch noch zum Einsatz, denn sie hatte vorn eine große Tasche, dort konnte ich die Tafel unterbringen, während ich die Mahlzeiten und Getränke auftrug oder leere Teller und Becher abräumte. Von da an klappte alles viel besser. Ich nummerierte die Tische und legte drei Spalten an, in die ich die Bestellungen eintrug, was dazu führte, dass ich keinen einzigen Fehler mehr machte und nichts mehr vergaß. Ich merkte, dass die Leute darüber tuschelten – anscheinend war der Anblick einer Magd, die schreiben konnte, nicht gerade alltäglich –, aber das störte mich kein bisschen. Auch Monsieur Mirabeau war, nachdem er seine Zweifel erst überwunden hatte, hochzufrieden mit meiner effektiven Arbeitsmethode. Er kam sogar auf die Idee, dass ich vielleicht doch genug rechnen könne, um abzukassieren. Dann hätte er mehr
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