Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
die Geruchsbelästigung nicht auszuhalten sei. »Sie ziehen toten Tieren das Fell ab, schaben die Haare und verwesenden Reste von der Haut, beschmieren sie mit einer grässlichen Masse aus zerstampftem Hirn und vergraben sie in bestialisch stinkenden Gruben, bis alles Lebendige verrottet und abgefault ist.« Sie hob einen schmalen, in feinstem Leder steckenden Fuß hoch. »Unglaublich, dass hinterher etwas so Hübsches herauskommt, oder?«
Ich hatte mir über die Lederherstellung in diesem Jahrhundert noch nicht viele Gedanken gemacht, aber allein bei der Vorstellung drehte sich mir der Magen um.
An unserem Ziel, in der Rue Saint-Thomas du Louvre, war es deutlich heller als in den übrigen Straßen, was daran lag, dass sich der Königspalast in der Nähe befand: der von Fackeln beleuchtete Louvre, ein gewaltiges Bauwerk im Renaissancestil, aber trotzdem nur ungefähr halb so groß wie in der Gegenwart, weil es einige Teile davon im Jahr 1625 noch gar nicht gab.
Das Hôtel Rambouillet war ein elegantes Haus mit hohen Fenstern. Vor dem Portal standen livrierte Diener, von denen sofort einer heranflitzte und Cécile aus der Kutsche half. Ich selbst durfte allein aussteigen, anscheinend sah ich nicht wichtig genug aus. Unbeachtet taperte ich Cécile hinterher, die mit hoheitsvoll erhobenem Kopf ins Haus ging. Offenbar fand die Party im Obergeschoss statt, so wie es in den vornehmeren Häusern üblich war. Wir gingen eine breite, geschwungene Treppe hoch, an deren Ende uns weitere Diener in Empfang nahmen. Einer kam mit einem Tablett vorbei und bot uns Getränke an. Cécile schnappte sich zwei Weingläser und drückte mir eins davon in die Hand, während ich aufgeregt die Umgebung beäugte. Von einer großen Galerie gingen mehrere Räume ab, in denen eine Menge Leute zu sehen waren. Die meisten Besucher waren Männer, doch hier und da sah ich auch elegant gekleidete Frauen. Ich kam mir sofort wie das Aschenputtel vom Dienst vor, und mir wurde klar, dass es Cécile nicht darum ging, dass ich hier Spaß hatte, sondern dass sie mich wohl eher als eine Art exotisches Schoßhündchen vorführen wollte.
Überall wurde angeregt debattiert. An einer Ecke stand ein älterer Mann mit hohem Kragen und rezitierte Gedichte, umringt von einer Schar von Bewunderern. Cécile ging mit rauschenden Röcken und einem fröhlichen Gruß in die Runde an ihnen vorbei, und mir blieb nichts anderes übrig, als in ihrem Windschatten zu bleiben. Neugierige Blicke streiften mich, während sie diverse Bekannte begrüßte. Ich folgte ihr in ein Zimmer mit blau ausgeschlagenen Wänden, in dem besonders viel los war. Mehrere Leute standen Schlange vor einem großen, bettartigen Sofa, auf dem eine dunkelhaarige Frau mehr lag als saß und ihre Besucher empfing. Danach zu urteilen, wie alle sie umringten, schloss ich, dass sie die Gastgeberin war – besagte Marquise. Sie war ungefähr Ende dreißig und hatte eine dralle Figur, die in einem gewagt ausgeschnittenen Seidenkleid steckte.
Cécile machte eine Art Knicks und stellte mich der Marquise vor, doch ich hörte es nur am Rande. Wie gebannt starrte ich in den offenen Durchgang zur Galerie. Der Kardinal war aufgetaucht! Fast hätte ich ihn nicht wiedererkannt, denn diesmal trug er nicht sein rotes Prachtgewand, sondern einfaches Schwarz.
Mit hastigen Blicken suchte ich seine nächste Umgebung ab und bekam deshalb kaum mit, wie Cécile mich nach vorn schob. »Armes Waisenmädchen … hoch gebildetes Kind … sehr sprachbegabt … spielt Clavichord …«, hörte ich sie sagen, während ich aufgeregt nach Sebastiano Ausschau hielt.
»Welche Sprachen beherrschst du, Mädchen?«, wollte die Marquise in liebenswürdigem, aber ziemlich gönnerhaftem Ton wissen.
»Nicht so viele«, sagte ich zerstreut. »Und perfekt sowieso nicht. Außer Deutsch, das ist ja meine Muttersprache. Daneben noch Englisch und Italienisch. Mehr leider nicht.« Ich reckte den Kopf. Irgendwo mussten die Musketiere von der Leibgarde Richelieus doch stecken!
»Wie ist es mit Spanisch, Kleine?«, erkundigte sich die Marquise.
»Bedaure«, antwortete ich. »Höchstens ein paar Brocken. Guten Tag, gute Nacht und so weiter.«
»Wirklich? Mir scheint, du stellst dein Licht unter den Scheffel. Wie ist es mit Russisch?«
»Kein bisschen, leider. Ich hatte nie Gelegenheit, es zu lernen.«
Die Marquise hatte sich aufgesetzt und blickte mich mit großen Augen an. »Unglaublich«, sagte sie zu Cécile. »Wirklich kaum zu fassen! Völlig
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