Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Tagef werden mir alle fu Füfen liegen«, hatte sie siegesbewusst verkündet, den Mund noch voller Murmeln.
Ich hakte mich bei Sebastiano unter, und gemeinsam betraten wir den Vorführraum, einen mittelgroßen, von vielen Wandkerzen und einem Kronleuchter erhellten Saal. Besonders voll war es nicht, in den Bankreihen war noch reichlich Platz, wir konnten uns ganz vorn hinsetzen. Zu meiner Überraschung saß dort Philippe, der in andachtsvoller Erwartung auf die mit plüschigem Samt verhängte Bühne schaute. Er hatte sich fein gemacht und sein blondes Haar mit einer neuen Seidenschleife im Nacken zusammengebunden. Den Hut hatte er auf den Knien liegen. Als Sebastiano und ich neben ihn auf die Bank rutschten, wandte er sich erstaunt zu mir um.
»Anna! Was tust du denn hier?«
»Dasselbe wie du – mir Céciles Vorführung ansehen.«
Sein Blick fiel auf Sebastiano, und ein überraschter Ausdruck trat auf sein Gesicht. »Seid gegrüßt«, sagte er vorsichtig, dann sah er mich fragend an. Ich antwortete mit einem kaum merklichen Kopfschütteln. Nein, Sebastiano hatte sein Gedächtnis leider noch nicht zurückgewonnen, aber ich arbeitete daran.
Philippe verstand und räusperte sich. »Schön, dass du da bist, Anna. Cécile erwähnte gar nicht, dass du heute kommst.«
»Ach, das war ein eher spontaner Einfall.«
»Das wird sie sicher freuen.« Philippe nickte Sebastiano mit zurückhaltender Freundlichkeit zu. »Ich wünsche Euch viel Vergnügen bei der Vorstellung, Monsieur.«
»Danke«, sagte Sebastiano. Er betrachtete Philippe argwöhnisch, dann sah er mich mit verengten Augen an. Es war klar, dass ihm dieses Zusammentreffen seltsam vorkam, wahrscheinlich genauso seltsam wie die Umstände, unter denen er Philippe das erste und zweite Mal getroffen hatte, als der ihm die Botschaften von Gaston überreicht und damit keinen guten Eindruck hinterlassen hatte.
»Was hast du mit diesem Kerl zu schaffen?«, wollte er wissen. Er sprach nicht einmal besonders leise, sodass Philippe jedes Wort hören konnte und peinlich berührt auf seinen Hut blickte.
Bevor ich mir eine Erklärung ausdenken konnte, wurden wir durch einen schmetternden Fanfarenstoß abgelenkt. Ich zuckte zusammen, weil es so plötzlich kam und wirklich enorm laut war. Ein in fleckiges Waldmeistergrün gekleideter Typ hatte die Bühne betreten und blies auf einer Fanfare, von der ein abgerollter Wimpel in der Farbe seines Kostüms hing. Die Leute, die eben noch auf den Sitzbänken vor sich hingedöst hatten, waren hellwach und klatschten. Der Fanfarenspieler, ein rundlicher Typ mit einem hochgezwirbelten Schnurrbart, war zugleich auch der Ansager, denn als er mit trompeten fertig war, hob er mit einer leicht unangenehmen Fistelstimme an, das bevorstehende Stück anzupreisen und die Handlung zu erklären. Es ging um irgendwelche Götter und Nymphen und tapfere Helden, aber auch um bösartige Intrigen, geldgierige Kaufleute und tragische Liebe. Erwartungsvoll richtete ich mich auf und warf Sebastiano einen Blick von der Seite zu. Er sah mich immer noch unverwandt an, und ich begriff, dass er seine Frage von vorhin nicht auf sich beruhen lassen würde. Später würde er garantiert noch auf einer Antwort beharren.
Doch für den Augenblick war er erst einmal abgelenkt, denn nun begann die Vorstellung. Der Samtvorhang wurde zur Seite gezogen, und der schnurrbärtige Ansager verschwand hinter der Kulisse, die aus einer großen, mit einem Wald bemalten Pappwand bestand. Gleich darauf war hinter der Bühne ein Trommelwirbel zu hören, und im nächsten Moment betrat Cécile die Bühne. Alle Zuschauer waren sofort wie elektrisiert – bei der Gelegenheit bemerkte ich auch, dass fast nur Männer gekommen waren –, denn Cécile bot wie immer einen sehenswerten Anblick. Ihre Marilyn-Monroe-Figur steckte in einem seidenen Fummel, der jede einzelne Rundung betonte. Über ihre rechte Schulter rieselten wasserfallartig ihre silberblonden Locken, die linke Schulter war nackt. Ihre mit Khol umrandeten Augen schimmerten im Kerzenlicht, und um ihre zum Schmollmund geschminkten Lippen spielte ein verführerisches Lächeln. Mit flatterndem Gewand tanzte sie kreuz und quer über die Bühne und vollführte mehrere Drehungen und Sprünge, bei denen nicht nur ihre Haare hin und her und auf und ab schwangen. Dazu schlug sie den Takt auf einem kleinen Tamburin, und die Glöckchen, die sie an einem Band um ihre Fußfesseln trug, untermalten das Ganze mit fröhlichem Gebimmel. Die
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