Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Ideen.«
»Bist du ganz sicher, dass er verrückt war? Hast du dir gar keine Gedanken darüber gemacht, was bei Mondwechsel auf dieser Brücke geschehen könnte?«
Im schwachen Schein der Talgleuchte, die am Holm der Kutsche hing, sah ich, dass Sebastiano irritiert die Stirn runzelte. Er ließ meine Frage unbeantwortet, woraus ich schloss, dass er sich sehr wohl Gedanken gemacht hatte.
»Wir könnten morgen Nacht zusammen hingehen«, wiederholte ich meinen Vorschlag. »Dann haben wir Gewissheit!«
»Sicher lungern dort zwielichtige Gestalten herum, die nur darauf warten, vorbeikommende Dummköpfe auszurauben.«
»Wer das tun will, könnte sich jede beliebige Nacht dazu aussuchen. Aber ausgerechnet den Mondwechsel? Auf einer Brücke, die von allen Seiten aus gut zu sehen ist? Und was bedeutet die Sache mit dem Portal? Das muss doch einen tieferen Sinn haben! Lass uns morgen Nacht hingehen, ja? Vielleicht geschieht dort etwas … Magisches!«
»Das ist Unsinn. Es gibt keine Magie.«
»Die gibt es wohl«, widersprach ist. »Ich glaube fest daran.«
Sebastiano hob belustigt eine Braue. »So, tust du das? Obwohl du schon so viele wissenschaftliche Abhandlungen gelesen hast?«
»Manche Dinge lassen sich durch die Wissenschaft nicht erklären.«
»Und welche wären das?«
Ich holte tief Luft und setzte alles auf eine Karte. »Nimm als Beispiel dich und mich. Spürst du denn nicht, dass uns etwas verbindet? Etwas Ungewöhnliches, Besonderes? Ich fühle mich dir sehr nah, und ich wette, dir geht es genauso mit mir, obwohl du mich erst zwei Tage kennst. Das ist … magisch, oder nicht?« Atemlos hielt ich inne. Ich hatte jedes Wort völlig ernst gemeint und hoffte und betete, dass sein Unterbewusstsein stark genug war, um ihn all das empfinden zu lassen, was ich ihm gerade beschrieben hatte. Erwartungsvoll und ein bisschen ängstlich blickte ich ihn an. Sein Gesicht zeigte nicht den Hauch eines Lächelns. Seine Miene war absolut unergründlich. Nur seine Augen leuchteten im Licht der kleinen Kutschenlampe unwirklich hell.
»Du hast recht«, sagte er leise. »Und das bereitet mir einige Sorgen.«
»Aber warum denn?« Ich atmete befreit und glücklich auf. »Manche Dinge sollte man nicht hinterfragen. Vor allem nicht die Magie.«
»Hm, vielleicht stimmt das. Lass uns der Sache auf den Grund gehen.«
»Du meinst, wir gehen morgen Abend zusammen auf diese Brücke?«
»Sicher, warum nicht. Ein Spaziergang bei Mondschein, um ein Geheimnis zu lüften – das klingt nach einem spannenden und zugleich romantischen Abenteuer. Aber ich meinte eigentlich etwas anderes.« Er streckte die Hand aus und strich mir mit den Fingerspitzen vorsichtig über die Wange. Die Berührung war federleicht, bloß ein Hauch, doch es ging mir sofort durch und durch, und hätte ich nicht schon gesessen, hätte ich mich irgendwo festhalten müssen, weil mir sonst schwindelig geworden wäre. Sein Oberschenkel berührte meinen, und ich roch den schwachen Duft von Sandelholz, der seinem frisch geplätteten Hemd entstieg. So dicht neben ihm in der offenen Kutsche zu sitzen fühlte sich berauschend und zugleich vertraut an. Ich sehnte mich so sehr nach seinem Kuss, dass mir ein erleichtertes Seufzen entwich, als er endlich die Arme um mich legte und sich zu mir beugte. Als seine Lippen meinen Mund fanden, kam ich ihm sofort bereitwillig und voller Leidenschaft entgegen – und stand auf der Stelle lichterloh in Flammen. Es war das reinste Feuerwerk. Er hatte von Anfang an diese Wirkung auf mich gehabt. Es war, als würden Funken von Elektrizität zwischen uns aufstieben und hin und her springen, bis auch das letzte Atom in meinem Körper aufgeladen war von seiner Nähe.
Wir küssten uns eine halbe Ewigkeit und konnten nicht aufhören. Sebastianos Hände hatten sich auf Wanderschaft begeben und fühlten sich wundervoll auf meinem Körper an, genau wie das leichte Kratzen seines Barts an meinem Gesicht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir bis zum einundzwanzigsten Jahrhundert einfach so weiterknutschen können, mir wäre garantiert keine Sekunde langweilig geworden.
Doch dann wurden wir abrupt unterbrochen, denn der Kutscher – lieber Himmel, den hatte ich total vergessen! – räusperte sich vernehmlich. Sebastiano und ich fuhren schwer atmend auseinander. Er blickte mich eindringlich an. Diesmal war sein Gesicht nicht länger unbewegt, es spiegelten sich widerstreitende Regungen darin. Verlangen, jedoch auch Verwirrung und
Weitere Kostenlose Bücher