Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Verse, die sie bei der Aktion vortrug, gingen dabei fast komplett unter, denn jeder im Saal konzentrierte sich auf ihren Busen, der bei jedem Schritt oben rauszuhüpfen drohte. Ein kurzer Seitenblick zu Sebastiano zeigte mir, dass er ebenfalls hinstarrte. Am liebsten hätte ich mich vor ihn gestellt und ihm die Sicht versperrt, aber das hätte ziemlich eigenartig gewirkt, also bekämpfte ich diese Aufwallung von Eifersucht und tat so, als machte es mir nichts aus. Nach einer Weile hörte Cécile mit dem Tanzen auf und kam an den Rand der Bühne. Mit getragener, perfekt akzentuierter Stimme (die Murmeln schienen wirklich was zu bringen!) hielt sie einen Monolog, der aus weiteren Versen bestand. Sie reimten sich zwar nicht, aber am Takt der Sätze erkannte ich – Deutsch- LK sei Dank – fünfhebige Jamben, mit denen Cécile uns mitteilte, dass sie eine Waldnymphe war, die soeben aus einer Quelle aufgetaucht war und sich dabei unsterblich in einen zufällig dort herumsitzenden Jüngling verliebt hatte. Der war allerdings unterwegs in eine Stadt, wo er eine reiche Erbin heiraten sollte, die sein hartherziger Vormund für ihn ausgesucht hatte. Cécile rang sich ein Schluchzen ab, als sie das vortrug, was nicht nur ihre Stimme, sondern auch wieder ihren Busen zum Beben brachte. Ein paar der Zuschauer, die schon begonnen hatten, sich zu langweilen, waren sofort wieder voll bei der Sache. Nach einigen weiteren Versen, in denen Cécile erklärte, dass sie an gebrochenem Herzen sterben werde, wenn der Jüngling die andere heiratete, ging sie mit traurig gesenktem Kopf ab, womit die erste Szene vorbei war. Kurz bevor sie hinter den Kulissen verschwand, zwinkerte sie mir zu und grinste dabei. Es gefiel ihr sichtlich, dass ich zu ihrer Vorstellung gekommen war.
Als Nächstes trat der Jüngling auf, der allerdings schon mindestens dreißig war und eine deutliche Stirnglatze hatte. Außerdem konnte er seinen Text nicht richtig. Zwischendurch blieb er mehrmals stecken, was im Publikum unbeabsichtigte Lacher hervorrief, die er mit beleidigter Miene quittierte. Mit weitschweifigen Wendungen erläuterte er den Zuschauern, dass er vorhin im Wald zufällig an einer Quelle vorbeigekommen sei und dort seinen Durst gestillt habe, und dann sei ihm die schönste Frau aller Zeiten erschienen.
»Sie war so wundersam, so herrlich fein. Das Haar so silbern wie ein Wasserfall. Der Busen üppig schwellend im Gewand.«
An dieser Stelle hielt er erneut inne und glotzte ins Publikum, als könnte er dort den vergessenen Text wiederfinden.
»Weiter!«, schrie jemand. »Erzähl noch mehr über den Busen!«
Der Jüngling schnaufte empört, doch der Zwischenruf brachte den gewünschten Erfolg. Der Rest fiel ihm wieder ein.
»Die Liebe traf mich einem Blitzstrahl gleich. Doch ach, es wartet auf mich schwere Pflicht.«
»Die Nymphe soll wieder rauskommen!«, rief ein Zuschauer.
Aber die kam erst mal nicht. Stattdessen traten andere Figuren auf, beziehungsweise dieselben wie vorher, nur anders verkleidet. Ein alter Mann, der sich langatmig als Vormund des Jünglings vorstellte (es war der Ansager, er trug jetzt Rot statt Waldmeistergrün), danach die reiche Erbin (Cécile mit schwarzer Perücke), die eigentlich den Nachbarssohn liebte und lieber sterben wollte, als den aufgezwungenen Bräutigam zu heiraten, und anschließend der Nachbarssohn, der mit der Erbin durchbrennen wollte, sich jedoch vor der Rache der Götter fürchtete. Zum Schluss betrat unter Donner (Trommelwirbel) und Rauch (hinter der Bühne wurde etwas stark Qualmendes verbrannt) Zeus persönlich die Bühne. Er trug einen langen weißen Bart und ein wallendes Gewand, aber an der Fistelstimme war wieder der Ansager zu erkennen, der allen Beteiligten schreckliche Strafen für den Fall androhte, dass sie sich dem Willen der Götter widersetzten, wobei allerdings nicht ganz klar war, was genau der Wille der Götter war. An dieser Stelle wies die Handlung definitiv eine Lücke auf. Auch sonst war es ehrlich gesagt gähnend langweilig, daran änderten auch Céciles Auftritte nichts. Sie erschien noch zweimal als Nymphe im Flatterhemdchen, aber gemessen an den langen Szenen dazwischen war es viel zu kurz, um die Leute bei der Stange zu halten. Vor dem letzten Akt war bestimmt schon die Hälfte der Zuschauer gegangen, und ich fand ebenfalls, dass Sebastiano und ich was Besseres hätten unternehmen können. Doch ich wollte Cécile nicht vor den Kopf stoßen und blieb deshalb brav bis zum Ende
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