Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
mich!« Hoffnung wallte in mir auf. Die künstlichen Erinnerungen, die man ihm implantiert hatte, wiesen allem Anschein nach große Lücken auf. Das deutete darauf hin, dass sein richtiges Gedächtnis noch irgendwo in ihm steckte.
Erstaunt über meinen inbrünstig klingenden Ausruf sah er mich an. »Warum freut dich meine Vergesslichkeit?«
»Oh. Hm, nein, ich meinte damit, wie nett ich es finde, dass du trotzdem mit mir ins Theater gehst. Obwohl du doch bisher keinen Spaß daran hattest.« Ein wenig schüchtern betrachtete ich ihn von der Seite. »Du siehst übrigens auch sehr gut aus heute Abend.«
Das tat er wirklich. Mit seinem taillierten taubenblauen Wams, dem eleganten Federhut und den blank geputzten Stulpenstiefeln machte er richtig was her. Die Männermode im siebzehnten Jahrhundert gefiel mir – zumindest an Sebastiano. Er sah einfach toll darin aus. Es fehlte nicht viel, und ich hätte mich seufzend an ihn geschmiegt.
Er schien es zu spüren und runzelte die Stirn. Anscheinend hatte ich ihn zu auffällig angehimmelt. Er hatte mir mal erzählt, dass er nicht auf Frauen stand, die Männer anmachten. Er mochte lieber den zurückhaltenden, kratzbürstigen Typ.
»Das hat mir neben deinem Sinn für Humor von Anfang an besonders gut an dir gefallen«, hatte er gemeint. »Dass du so einen Dickkopf hast. Und keine von dieser Wimpern-klimpern-Sorte bist.«
Sofort hörte ich auf, ihn anzustarren, und betrachtete gespielt beiläufig meine Fingernägel. Die waren ziemlich runtergekaut nach den stressigen letzten Tagen. Schon die Matheklausur hatte ihnen nicht gutgetan, und Paris hatte ihnen den Rest gegeben, vor allem dieses Jahrhundert hier.
»Du kaust an den Nägeln«, stellte Sebastiano fest.
»Ja, das mache ich immer, wenn ich Stress habe.« Statt Stress sagte ich Schwierigkeiten , was in dem Fall aber auf dasselbe herauskam. Der Translator hatte ein gutes Gespür für Nuancen.
»Welche Schwierigkeiten sind das genau?«, wollte Sebastiano wissen.
»Ach, es sind so viele, dass ich sie gar nicht alle aufzählen kann.«
»Versuch es. Ich höre dir gerne zu.«
Überrascht und erfreut sah ich ihn an. Er fing langsam an aufzutauen!
»Na ja, am schlimmsten ist, dass ich mein Zuhause in Frankfurt vermisse. Und … Italien. Vor allem Venedig.«
Ich hielt die Luft an bei diesem Versuchsballon.
Ein irritierter Ausdruck trat auf Sebastianos Gesicht.
»Wieso Venedig?«
»Ich war schon häufig dort und mag die Stadt sehr.«
»Was hattest du dort zu tun?«
»Das erste Mal war ich mit meinen Eltern da. Mein Vater ist ein … Gelehrter, aber das hatte ich dir ja schon erzählt. Er befasst sich mit Ausgrabungen historischer Stätten. So habe ich Venedig kennen-und lieben gelernt.«
Das Wort lieben betonte ich und sah ihn dabei eindringlich an.
»Venedig«, wiederholte er langsam. Es klang nachdenklich und eine Spur verwirrt. »Ich hörte davon. Eine Stadt, die in einer Lagune erbaut wurde. Es gibt dort viele Kanäle und Palazzi. Und die Leute tragen Masken zum Karneval. Ich glaube, ich würde sehr gern einmal dorthin reisen.«
Aufgeregt betrachtete ich sein Gesicht. Ein grüblerischer Ausdruck stand in seinen Augen. In seinem Blick lag etwas Abwesendes und zugleich Suchendes. Er war ganz nah dran! Ich musste nur noch ein kleines bisschen nachhelfen und ihm alles beschreiben. Die Menschenmenge rund um den Rialto. Den Dogenpalast in der Frühlingssonne. Den goldenen Engel auf dem Campanile. Die hohen Säulen auf der Piazzetta. Wenn ich ihm nur alles ausführlich genug ausmalte, musste seine Erinnerung einfach zurückkehren!
Leider kam in diesem Augenblick die Kutsche mit einem Ruck zum Stehen. Wir waren angekommen.
Sebastiano entlohnte den Kutscher und befahl ihm, bis zum Ende der Vorstellung zu warten.
Das Theater befand sich vis-à-vis von einem Palais, das Cécile mir bereits beschrieben hatte und von dem das Theater auf der anderen Straßenseite seinen Namen hatte – es handelte sich um die ehemalige Residenz des Herzogs von Burgund. Das Theater selbst, das schräg gegenüberlag, hatte eine lange Tradition – es wurde laut Cécile schon seit Jahrzehnten von wechselnden Schauspieltruppen benutzt. Das Ensemble, in dem sie als Hauptdarstellerin mitwirkte, war allerdings noch nicht wirklich berühmt, wie sie selbstkritisch eingeräumt hatte. Trotzdem war sie davon überzeugt, dass das nur noch eine Frage der Zeit war, weil sie große Hoffnungen in die von ihr selbst verfassten Stücke setzte.
»Einef
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