Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
versammelt. Und jede Menge Casanovas in feinen Seidenwesten und mit weißen Perücken. Unsere eigenen, mittlerweile ziemlich schmuddeligen Kostüme, mit denen wir auf dem Dach des Dogenpalastes herumgeturnt und durch die Zeit gereist waren, konnten mit dieser edlen Pracht nicht mithalten. Wir schoben uns durch das Gedränge, tranken Prosecco aus Pappbechern und bewunderten die kunstvoll zurechtgemachten Gestalten. Irgendwann hatten wir genug und beschlossen, den Abend bei Sebastiano zu Hause ausklingen zu lassen. Er hatte eine kleine Wohnung in der Nähe der Universität, was aus mehreren Gründen praktisch war: Zum einen konnte ich ihn dort besuchen und herrlich ungestörte Tage mit ihm verbringen, und zum anderen waren es bis zu seinem Arbeitsplatz nur ein paar Minuten zu Fuß – Sebastiano war wissenschaftlicher Assistent an der Uni. Hauptsächlich arbeitete er dort im Archiv. Dessen Leiter wiederum war kein anderer als José, der mit vollständigem Namen José Marinero de la Embarcación hieß. Jedenfalls nannte er sich offiziell so. Sebastiano arbeitete gern bei ihm. Er liebte seinen Job, den als Zeitwächter genauso wie den als Historiker und Kulturwissenschaftler. Übernächstes Jahr würde er seinen Master machen. Ich war davon überzeugt, dass beruflich alles wie geschmiert bei ihm laufen würde. Wenn ich bei mir selbst nur auch so sicher gewesen wäre!
Natürlich wäre es ziemlich praktisch, wenn ich mir nach dem Abi ein Studienfach aussuchte, das irgendwie mit dem Zeitreisen kompatibel war. Archäologie hätte theoretisch gut gepasst, aber das fand ich ebenso langweilig wie Geschichte. Mein Vater war ein bekannter Archäologe, er schleppte meine Mutter und mich im Urlaub ständig zu irgendwelchen Ausgrabungsorten und zeigte uns alle möglichen Ruinen, doch bisher hatte mich das nicht vom Hocker gerissen.
Ich hatte sogar schon an so abgefahrene Sachen gedacht wie Modedesign, mit Schwerpunkt Kostümgeschichte. Dummerweise hatte ich überhaupt keinen Bezug zu Mode. Mir fehlte dafür einfach die passende Veranlagung. Entweder man hatte sie oder nicht. Meine Freundin Vanessa hatte sie definitiv. Sie erkannte Schuhmarken auf dreißig Meter Entfernung und besaß eine Sammlung von ungefähr tausend Modemagazinen. Egal, was sie trug – in jedem ihrer Outfits sah sie aus wie ein Covergirl der Cosmopolitan. Ich zog hingegen immer nur das an, was in der Wäschekommode gerade oben lag. Sebastiano störte sich nicht daran, ihm gefiel ich so, wie ich war, jedenfalls behauptete er das immer. Mittlerweile glaubte ich es sogar, auch wenn es mir anfangs schwergefallen war.
Bis jetzt lief es ja auch wirklich super mit uns, und das schon seit anderthalb Jahren. Und demnächst würde es noch besser laufen, denn dann war Schluss mit den vielen teuren Flügen und Zugfahrten: Bald hatte ich das Abi in der Tasche, dann konnten wir zusammenziehen. Ich freute mich wie verrückt darauf, und er sich auch, aber ich hätte mich deutlich besser gefühlt, wenn ich gewusst hätte, was ich studieren sollte. Mein Italienisch war inzwischen ganz brauchbar, die Vorlesungen an der Uni würde ich auf alle Fälle gut verstehen – vorausgesetzt, bis dahin wäre klar, welche es sein sollten.
»Was geht dir durch den Kopf?« Sebastiano drückte mich an sich und küsste mich auf die Wange. »Du siehst so ernst aus!«
Ich seufzte. »Ich denke über meine Zukunft nach. Studium und so.«
»Warum lässt du es nicht einfach auf dich zukommen?«
Er konnte so beneidenswert locker sein. Ich liebte ihn dafür, aber trotzdem wäre ein konkretes Ziel eine gute Sache.
»Wenn ich wenigstens für irgendwas richtig begabt wäre!«
»Aber das bist du doch. Du spielst toll Klavier.«
»Ach, das ist bloß Geklimper. Ich meinte eher was Nützliches. So wie bei dir. Oder bei meiner Mutter.«
Meine Mutter war noch berühmter als mein Vater. Sie war Physikdozentin und hatte schon diverse internationale Preise eingeheimst. Angesichts ihrer überragenden Intelligenz hatte ich früher lange Zeit felsenfest geglaubt, dass ich ein adoptiertes Kind sein müsse. Meine Eltern hatten immer wieder das Gegenteil behauptet, aber das hatte ich ihnen nicht abgekauft, bis sie irgendwann zum Beweis die Geburtsurkunde gezückt und ein paar Fotos aus dem Kreißsaal vergrößert hatten. Sie hatten mir meinen Namen auf dem Schildchen an dem Babyärmchen gezeigt, doch manchmal dachte ich immer noch, dass es vielleicht ein Fake war. Vor allem, wenn ich wieder mal eine Fünf in
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