Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
die Tränen. Mir war übel vor Angst und Sorge. Die ganze Zeit hatte ich mich zusammengerissen, doch jetzt ließen die Nerven mich im Stich. Nur gut, dass ich öfters flog. Ich musste nicht groß darauf achten, wie alles ablief. Mit der S-Bahn war ich schnell am Flughafen, und das Einchecken ging ruckzuck, ich hatte nur Handgepäck und zog mir die Bordkarte am Automaten. An der Sicherheitsschleuse war auch nicht viel los. Während des Anstehens dachte ich ununterbrochen an Sebastiano und fragte mich, was um alles in der Welt da passiert war. Und was hatte José damit gemeint, dass ich Sebastiano nicht trauen sollte? In meinem Kopf wirbelte es konfus durcheinander, ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Erst, als ich im Boardingbereich saß, kam ich ein wenig zur Ruhe. Und begriff, dass ich echte Probleme hatte. In Paris war ich noch nie gewesen. Und im Jahr sechzehnhundertfünfundzwanzig auch nicht. In meinem Magen blubberte der Auflauf vom Mittagessen. Hastig holte ich mein iPhone raus und fing an zu googeln.
Paris, 2011
I
ch kam gegen halb neun am Flughafen Charles de Gaulle an und probierte sofort noch einmal, diesen Garçon zu erreichen. Diesmal hatte ich mehr Glück, er ging gleich dran. Ich hielt mir das freie Ohr zu, weil ich mitten im Trubel der Ankunftshalle stand. Zur Sicherheit sprach ich ihn auf Englisch an, in der Hoffnung, dass er mich verstand, doch zu meiner Überraschung konnte er gut Deutsch.
»Ich bin Gaston Leclerc«, sagte er. »L-e-c-l-e-r-c, falls du dich fragst, wie man das schreibt. Willkommen in Paris! Du musst Anna sein. Ich habe deinen Anruf schon erwartet.« Er hatte eine nette, etwas gestresst klingende Stimme mit französischem Akzent. Ich war zutiefst erleichtert. Die erste Hürde war genommen. Ich stand nicht allein da, offenbar hatte José schon alles Wichtige organisiert. Gott sei Dank!
»Was ist mit Sebastiano passiert?«, platzte ich heraus.
»Ach, das kann ich schlecht am Telefon erklären. Wir sehen uns nachher, dann erzähle ich dir, was ich weiß.«
»Wo soll ich hinkommen?«, fragte ich.
»Kennst du dich in Paris aus?«
»Leider kein bisschen. Ich war noch nie hier.«
»Oh, das ist aber eine Bildungslücke! Doch jetzt bist du ja da und kannst sie schließen. Leider kann ich gerade überhaupt nicht weg, ich muss mich noch um alle möglichen Dinge kümmern. Am besten nimmst du dir ein Taxi. Ich hab ein Hotelzimmer für dich reserviert, im Britannique in der Avenue Victoria.«
»Ist das günstig?«, fragte ich.
»Ja, sehr zentral. Es liegt ganz in der Nähe vom Pont au Change.«
»Nein, ich meinte eigentlich den Preis.«
»Eigentlich schon, es kostet unter zweihundert.«
»Pro Nacht?«, fragte ich erschrocken.
Gaston lachte. »Das hier ist Paris, Anna.«
»Dann suche ich mir lieber ein anderes Hotel. Ich hab’s nicht so dicke, weißt du.«
»Das Zimmer ist schon bezahlt. Flug und Taxi kriegst du auch von mir erstattet, wir haben hier ein Budget für so was.«
Ich atmete auf. Budget klang gut. Es war ein nettes, beruhigendes französisches Wort, auch wenn ich es nicht aus eigener Erfahrung kannte. So was wie Spesenerstattung war ich nicht gewöhnt. Wenn ich mit Sebastiano in die Vergangenheit reiste, bekamen wir Geld aus der betreffenden Epoche und passende historische Kleidung, aber Unterbringung und Anreise zum Ausgangspunkt waren bisher immer mein Privatvergnügen gewesen. Vielleicht sollte ich José mal fragen, wie es demnächst mit einer kleinen Beteiligung an meinen Flugtickets wäre. In Venedig waren sie möglicherweise nicht ganz auf der Höhe der Zeit bei den Mitarbeitervergünstigungen.
»Lass dir im Hotel einen Stadtplan geben«, sagte Gaston. »Damit du den Pont au Change findest. Da musst du nämlich nachher hin.«
»Ich hab eine Navi-App.«
»Du solltest deinen persönlichen Kram besser im Hotel lassen, also Handtasche, Geld, Handy und so weiter. Du weißt ja, dass du nichts davon mitnehmen kannst. Und beim Zurückspringen ist nicht gewährleistet, dass jedes Mal alles wieder auftaucht. Ich hatte da mal eine wahnsinnig teure Patek-Philippe-Uhr …«
»Heißt das, der Übertritt soll noch heute Nacht stattfinden?«, unterbrach ich ihn aufgeregt.
»Sicher. Wir wollen doch keine Zeit verlieren. Um halb zwölf treffen wir uns auf der Brücke.«
»Warte! Wie erkenne ich dich?«
»Ich schick dir ein Bild aufs Handy. Sekunde.« Er war kurz still, dann hörte ich eine eingehende Nachricht. »Hast du auch eins von dir?«, wollte er
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