Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
Hastig machte ich mich ausgehfertig. Es gab noch viel zu erledigen.
Marie und Henri waren noch nicht im Salon aufgetaucht, weshalb ich mich auf ein schnelles Frühstück in der Küche beschränkte und dann sofort aufbrach. Ich hatte mir eines der schlichten Gewänder angezogen, die ich von Esperanza bekommen hatte, und dazu die weichen Lederschuhe, in denen das Laufen bedeutend einfacher war als in den seidenen Tretern von Marie. Den Weg fand ich problemlos, denn inzwischen kannte ich in allen vier Himmelsrichtungen genügend Markierungspunkte, an denen ich mich orientieren konnte. Das graue, steinerne Ungetüm von Bastille. Der von hohen Türmen überragte Temple, der als das Sündenviertel von Paris galt. Der Louvre und der Tuilerien-Palast und schließlich die Seine und die Île de la Cité mit der gewaltigen Kathedrale.
An diesem Vormittag herrschte die übliche Geschäftigkeit, alle Welt war auf den Beinen. Die Stadt schien vor lärmender Betriebsamkeit aus allen Nähten zu platzen. Ich hielt mich nirgends auf, obwohl meine Schritte gelegentlich ins Stocken gerieten. Zum Beispiel bei der Frau, die vor ihrem Haus eine zappelnde (also noch lebende!) Gans rupfte. Oder bei dem Mann, dem man eine eiserne Schandmaske umgeschnallt und ihn damit an einen Pranger gekettet hatte.
Die meisten Gassen waren schmutzig und voller Abfall, aber es gab auch schöne Fleckchen – eine blühende Rosenhecke, ein verwunschener Brunnen mit marmornen Wasserspeiern, ein parkartiger kleiner Garten.
Ich ging über den Pont Notre-Dame, in der Hoffnung, Esperanza dort anzutreffen, doch der Maskenladen war zu. Dafür wehte vom gegenüberliegenden Parfümgeschäft ein öliger Fliedergeruch über die Brücke. Céciles Ex Baptiste stand im Laden vor der herausgeklappten Verkaufstheke und bemerkte mich, als ich vorbeikam. Heute trug er eine kanariengelbe Samtweste, die sich stark mit dem verlegenen Feuerrot seines Gesichts biss. Ich tat einfach so, als hätte ich ihn nicht gesehen, und ging schnell weiter.
In der Rue Percée war der Fensterladen vor Céciles Zimmer noch geschlossen, doch die Haustür stand offen, und die alte Concierge, die wie beim letzten Mal auf einem Schemel vor dem Haus hockte, erhob keine Einwände, als ich hineinging. Ich musste mehrmals anklopfen und meinen Namen rufen, bis endlich ein dumpf klingendes Herein ertönte.
Drinnen stolperte ich prompt über einen herumliegenden Gegenstand und konnte mich gerade noch an einem Bettpfosten festhalten. Durch die Ritzen des Fensterladens drang kaum genug Helligkeit, um Einzelheiten in dem vollgestopften Zimmer zu erkennen. Meine Augen brauchten ein paar Sekunden, um sich an die Lichtverhältnisse anzupassen.
Cécile setzte sich auf und blinzelte mich verschlafen an.
»Was willst du denn hier?«
»Ach, ich wollte nur … ich wollte mich für alles bei dir bedanken.« Plötzlich kam es mir so vor, als sei es keine gute Idee gewesen, noch einmal herzukommen. Cécile wirkte nicht so, als würde sie sich darüber freuen. Ich atmete möglichst flach, denn es roch betäubend nach Flieder. Und dann sah ich auch, worüber ich eben gestolpert war – es war die Peitsche, die beim letzten Mal an der Wand gehangen hatte. Daraus schloss ich, dass Baptistes letzter Besuch nicht lange her sein konnte. Untermauert wurde diese Vermutung dadurch, dass auf dem Nachttischchen neben Céciles Bett ein paar Silbermünzen lagen.
Cécile war meinem Blick gefolgt, ihre Stimme klang mürrisch. »Ja, er war heute Morgen wieder hier. Na und? Was willst du jetzt machen? Zu Philippe rennen und es ihm sagen?«
»Nein, bestimmt nicht!«, beteuerte ich. »Das ist ganz allein deine Privatsache!« Nach kurzem – und flachem – Durchatmen fuhr ich fort: »Ich wollte dir auch noch viel Glück für dein neues Stück wünschen. Du weißt schon. Das mit dem Autor und dem Mädchen. Vielleicht wird das ja dein Durchbruch!«
»Dafür ist die Geschichte zu langweilig«, meinte sie ablehnend. »Und jetzt lass mich weiterschlafen, ich bin müde.« Sie legte sich wieder hin und zog sich die Decke übers Gesicht. Ich hatte sie definitiv auf dem falschen Fuß erwischt, sie war einfach kein Morgenmensch. Angestrengt suchte ich nach einer Möglichkeit, aus der Situation das Beste zu machen, denn die Vorstellung, dass dies für alle Ewigkeit unser letztes Gespräch sein würde, fand ich bedrückend.
Dann hatte ich eine Idee. Ich grub ein paar Goldmünzen aus meinem Brustbeutel und legte sie geräuschlos zu dem Geld
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