Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
sein, Anna!«
Ich verkniff mir gerade noch die Bemerkung, dass ich leider nicht mitgehen könne, und tat so, als würde ich mich schon wie verrückt freuen.
Bald darauf zog sich Opa Henri in seine Gemächer zurück, weil er müde war. Ich sagte ihm besonders herzlich Gute Nacht – mehr ging schlecht, sonst hätte ich mich verdächtig gemacht –, und anschließend blieb ich noch eine Weile bei Marie im Salon. Sie hatte eins ihrer zahlreichen Bücher aus der Bibliothek geholt und blätterte darin. Am meisten mochte sie Reiseberichte, die hatten es ihr besonders angetan. Sie war längst nicht mit allen Autoren zufrieden, wie sie mir anvertraut hatte – manche würden einfach mit ihrer Fantasie übers Ziel hinausschießen, sagte sie. Oder über zu viele Seiten hinweg langweiligen Kram erzählen, bei dem es Mühe koste, nicht einzuschlafen.
Als ich ihr spontan vorschlug, doch einmal selbst ein Buch zu schreiben, sah sie mich verdutzt an, nickte dann aber nachdenklich. »Ein interessanter Vorschlag«, meinte sie. »Wirklich bedenkenswert! Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, über die weibliche Mode zu berichten. Ich könnte vielleicht ein Journal herausgeben. Soweit ich es überblicke, gibt es auf diesem Gebiet nichts.«
Unser letzter gemeinsamer Abend ging schnell zu Ende, denn ich musste mich noch für mein bevorstehendes Date mit Sebastiano umziehen. Marie nahm mit einem kurzen, wenn auch leicht besorgt wirkenden Nicken zur Kenntnis, dass ich heute schon wieder mit ihm ausgehen wollte.
»Wenn du sicher bist, das Richtige zu tun, dann musst du ihn treffen«, sagte sie.
Ich rang mit mir, dann holte ich Luft. »Marie, ich muss dir noch etwas sagen. Ich glaube, der Kardinal ist kurz davor, das Geheimnis der Königin aufzudecken.«
Marie seufzte. »Das weiß ich, Anna.«
»Es wäre vielleicht besser, wenn die Königin … Ich meine, wenn sie einfach nicht mehr …« Ich stockte verlegen.
Marie seufzte erneut. »Die Liebe ist oft stärker als die Vernunft, Anna. Sie ist blind gegen jede Gefahr.«
Da sprach sie ein wahres Wort gelassen aus. Und diese Regel galt nicht nur für Königinnen. Im Moment plagte mich die Sorge, dass sie auf mich ebenfalls zutraf. Tief in meinem Inneren ahnte ich, dass Cécile mit ihrer Warnung recht hatte. Sebastiano spielte ein doppeltes Spiel. Er war ein treuer Diener des Kardinals und traf mich heute in erster Linie, um gewisse Wahrheiten herauszufinden. Über die befremdlichen Botschaften, die Gaston ihm hatte zukommen lassen. Über die Rolle, die ich dabei innehatte. Und über meine Beziehung zu Marie, die wiederum die beste Freundin der Königin war und ihr half, ein dunkles Geheimnis zu hüten. Indem ich mir einbildete, dass er sich wegen seines immer noch in mich verliebten Unterbewusstseins mit mir verabredet hatte, log ich mir höchstwahrscheinlich bloß ganz massiv in die Tasche. Doch auf all diese logischen Schlussfolgerungen reagierte mein Inneres mit Trotz. Und wenn schon, dachte ich. Morgen würde das alles niemanden mehr interessieren. Dann wären wir wieder in unserer eigenen Zeit, Sebastiano hätte sein Gedächtnis zurück, und alles wäre wieder in Ordnung.
Die große Standuhr im Salon schlug zur vollen Stunde. Es war acht Uhr, höchste Zeit.
»Ich muss los«, sagte ich kläglich.
»Geh nur, Kind.«
»Ich … wünsche dir einen schönen Abend.« Ich merkte, wie mir Tränen in die Augen traten. Gerne hätte ich Marie noch zum Abschied umarmt. Oder irgendwelche richtungsweisenden Worte gesagt, etwa: Dir steht eine große, strahlende Zukunft bevor! Aber das hätte sich ziemlich bescheuert angehört. Also sagte ich lieber gar nichts mehr, sondern lächelte sie nur traurig an.
»Nun geh schon, sonst kommst du noch zu spät«, sagte sie.
Ich nickte krampfhaft und stand vom Sofa auf. Marie vertiefte sich wieder in ihr Buch, und ich eilte auf mein Zimmer, um mich fertig zu machen. Ich zog eins von den Gewändern an, die Esperanza mir eingepackt hatte. Die feinen Kleider von Marie legte ich sorgfältig zusammen, ich würde sie nicht mehr brauchen.
Zwischendurch spähte ich immer wieder aus dem Fenster zum Himmel. Irgendwann erhob sich die mattsilberne Scheibe des Mondes über den Dächern. Unten vor dem Haus sah ich eine Gestalt mit einem Windlicht näher kommen und vor der Tür stehen bleiben. Es war Sebastiano, er schaute zu mir herauf. Mit klopfendem Herzen rannte ich die Treppe hinunter.
»Guten Abend, Anna«, sagte er.
Ich nickte nur. Es war so weit. Vor
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