Zeitenzauber - Die goldene Brücke: Band 2 (German Edition)
lauter Aufregung brachte ich kein Wort heraus. Er hielt mir seinen Arm hin, damit ich mich einhaken konnte, was ich umgehend tat. Wir waren beide nicht zum Reden aufgelegt. Stumm spazierten wir durch die abendlichen Straßen in Richtung Seine. Hier und da brannte eine Fackel an einer Häuserecke, und in manchen Häusern waren die Fenster von Kerzen erleuchtet, aber in den meisten Straßen war es sehr dunkel. Nur die Umrisse der hoch aufragenden Kirchtürme und die schattenhaften Linien der Dächer hoben sich gegen den Mondhimmel ab. Über uns blinkten die Sterne, doch deren Licht war kalt und fern. Besonders romantisch war die Stimmung nicht, ich war zu aufgeregt.
Die Geräusche des Tages waren verstummt, die Stadt schlief. Es war kaum noch jemand unterwegs. Einmal kamen uns drei betrunkene Männer entgegen, denen wir rasch auswichen. Trotzdem blieb einer von ihnen stehen und schwenkte seine Laterne vor meinem Gesicht hin und her. »Was für ein liebreizendes Schätzchen haben wir denn hier?«, lallte er.
Sebastiano zog seinen Degen ein Stück weit aus der Scheide, was ein drohend klingendes, metallisches Schaben verursachte.
»Schon gut«, nuschelte der Mann und torkelte weiter, den beiden anderen hinterher.
Es war kühl geworden, ich fröstelte leicht.
»Ist dir kalt?«, fragte Sebastiano. Es war der erste Satz, den er seit der Begrüßung sagte.
»Ein bisschen«, antwortete ich.
Er blieb stehen, zog seinen Umhang aus und legte ihn mir um die Schultern. Der Wollstoff war schwer und roch nach Sebastiano. Unwillkürlich kuschelte ich mich in die Wärme, die noch von seinem Körper darin hing.
»Besser?«, wollte er wissen.
»Sehr viel besser. Vielen Dank.«
Beim Weitergehen legte er den Arm um meine Schultern, was meinen Herzschlag sofort wieder in die Höhe trieb. Es fühlte sich wunderbar an, ihm so nah zu sein. Den Gedanken, dass er das vielleicht nur aus Berechnung tat, verdrängte ich beharrlich.
Je näher wir dem Fluss kamen, desto intensiver wurden die Gerüche. Es stank nach Gerberlauge und fauligen Abfällen. Der Pont au Change lag verlassen vor uns. Am Ufer lagen Boote vertäut, schwankende Schatten in gluckerndem Wasser. Vom anderen Ufer der Seine leuchteten in unregelmäßigen Abständen einzelne Fackeln und Laternen, kaum mehr als glimmende Punkte in der Nacht.
»Da wäre die Brücke«, sagte Sebastiano. »Dann wollen mir mal hinübergehen und schauen, ob es magische Vorkommnisse gibt.«
Ich nickte nur schweigend und konnte kaum atmen, denn jetzt waren es nur noch Minuten bis zu unserer Rückkehr. Wir gingen langsam über die Brücke. Sebastiano hielt die Lampe und leuchtete uns den Weg aus. In der Mitte der Brücke war ein Kreuz am Geländer befestigt. Dort blieb ich stehen, wie ich es mit Gaston vereinbart hatte.
»Oh, sieh nur, ein Kreuz«, sagte ich, als wäre das etwas absolut Ungewöhnliches.
»Ja, das ist ein Brückenkreuz«, erklärte Sebastiano. »Auf den meisten Brücken gibt es eins.« Er sah sich um. »Wir haben Vollmond. Nur die Magie lässt auf sich warten.«
Hier war Improvisation gefragt.
»Sebastiano«, sagte ich (es kam als Sébastien heraus, aber das war bestimmt das allerletzte Mal). »Ich glaube, ich kann dir jetzt den Umhang zurückgeben. Mir ist überhaupt nicht mehr kalt.« Ich zog den Umhang aus und legte ihn Sebastiano um. Dabei drehte ich mich so, dass Sebastiano sich mir zuwenden musste und deshalb nicht sehen konnte, was hinter ihm passierte.
»Anna«, sagte Sebastiano. Er stellte das Windlicht hinter mir auf das Brückengeländer und strich mir dann sanft über die Wange. Sein Mund war dicht vor meinem. »Ich muss dir was gestehen.«
»Oh, wirklich. Dann … tu’s ruhig.« Ich war im Begriff, unter seiner Berührung zu zerschmelzen, aber dafür war definitiv nicht der richtige Zeitpunkt. Stattdessen bemühte ich mich um einen normalen Gesichtsausdruck. Vom anderen Ende der Brücke kamen zwei dunkel gekleidete Gestalten auf uns zu. Sie mussten unbesohlte Schuhe tragen, denn ihre Schritte waren nicht zu hören.
»Du darfst mich aber nicht hassen«, sagte Sebastiano.
Wie kam er jetzt darauf? Irgendwie passte das nicht zu der Art von Geständnis, das ich erwartet hatte. Ich war alarmiert und beunruhigt, doch es blieb keine Zeit, der Sache auf den Grund zu gehen. Die beiden Gestalten waren nicht mehr weit entfernt. Um sicherzustellen, dass Sebastiano sie nicht bemerkte, tat ich das Naheliegende. In diesem Augenblick war es mir total egal, was er deswegen von
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