Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
fragte ich entsetzt.
Er hob die Schultern und sagte kein Wort.
»Aber du wolltest mich doch zurückbringen«, platzte ich heraus.
»Zur Kräuterhandlung«, sagte er. »Da bist du sicher, dort ist vorerst dein Platz.«
Am liebsten hätte ich meinen Frust laut herausgeschrien. Oder wenigstens diesen Möchtegern-Orlando in den Kanal geschubst, damit er mal erlebte, wie sich das anfühlte.
Stattdessen schleuderte ich voller Zorn den blöden Kübel ins Wasser. »Soll das heißen, dass ich jetzt zwei Wochen hier festsitze?«
Er hob erneut die Schultern, anscheinend seine Universalantwort auf alle Fragen.
Ich riss mich zusammen, denn mit Wutausbrüchen kam ich nicht weiter. Sosehr er mich auf die Palme brachte – dieser Typ war nun mal für meine Rückkehr zuständig. Ich würde mir nur selbst schaden, wenn ich ihn anschrie. Oder in den Kanal schubste.
Angespannt gingen wir weiter. Sebastiano hielt einen Meter Seitenabstand, vielleicht las er meine Gedanken. Mittlerweile traute ich ihm alles zu.
Die nächste Frage lag mir auf der Zunge, doch ich brachte sie nicht heraus. Grund dafür war jedoch nicht meine Wut, sondern ein unerwarteter Zuhörer.
»Euer Bottich!«, schrie ein Junge hinter mir. » Madonna , 8 Ihr habt Euren Bottich verloren!« Ein zerlumpter Knirps von vielleicht sechs oder sieben Jahren kam auf uns zugestolpert, den tropfenden Kübel mit beiden Armen vor sich hertragend. »Bitte sehr, da habt Ihr ihn!«
Auf seinem sommersprossigen Gesicht stand ein hoffnungsvoller Ausdruck. Ich hätte ihm gern etwas dafür gegeben, dass er mir den Eimer gebracht hatte, doch nach Lage der Dinge konnte ich ihn nur mit einem Lächeln und einem freundlichen Dankeschön belohnen.
Sebastiano war großzügiger. Aus dem Beutel, den er neben seinem Dolch am Gürtel trug, holte er eine Münze, die er dem Knirps reichte. »Da, für deine Mühe.«
Der Kleine bedachte ihn mit einem zahnlückigen Grinsen und flitzte wie ein Wirbelwind davon.
Besorgt blickte ich ihm nach. In meiner Zeit wäre er jetzt in der Schule oder im Kindergarten gewesen. Oder auf dem Spielplatz, in Begleitung seiner Mutter.
»Er hatte nicht mal Schuhe«, sagte ich. »Und hast du gesehen, wie dünn er war?«
»So ist das in dieser Zeit«, gab Sebastiano kühl zurück. »Das nennt man Armut. Oft besitzen die Menschen hier nicht mehr als das, was sie auf dem Leib tragen.«
»Dagegen sollte man wirklich was unternehmen«, sagte ich. »Vor allem die Leute mit Geld, die sollten ruhig großzügiger sein!«
Er warf mir einen schrägen Blick zu, dann griff er ein weiteres Mal in seinen Beutel und gab mir eine Handvoll Münzen. Verdutzt musterte ich die fremdartig aussehenden Geldstücke. »Was soll ich damit?«
»Du besitzt auch nur das, was du auf dem Leib trägst, also bezog ich deine Forderung nach Großzügigkeit auf mich.«
»Oh«, sagte ich, hin- und hergerissen zwischen dem Verlangen, ihm sein Geld vor die Füße zu werfen, und der Einsicht, dass es nicht schaden konnte, ein bisschen Bares dabeizuhaben. Gleich darauf siegte die Vernunft über den Stolz. Schließlich hatte kein anderer als Sebastiano mich in diese Lage gebracht. Im Grunde war es kein Almosen, sondern nur eine verdiente kleine Überlebenshilfe. Kein Mensch konnte wissen, ob ich das Geld nicht noch dringend brauchte.
»Vielen Dank«, sagte ich hoheitsvoll. »Natürlich zahle ich es dir zurück, sobald ich wieder zu Hause bin. Also in spätestens zwei Wochen.«
Schweigend legten wir den restlichen Weg zurück. Ich merkte, wie sich in mir die Angst ausbreitete. Was, wenn es mir so erging wie Clarissa und ich nicht zurückkonnte? Würde dann aus dem, was mir bisher als rustikales, aber trotzdem spannendes Abenteuer vorgekommen war, schrecklicher Ernst? Nein, schwor ich mir, daran wollte ich gar nicht erst denken!
Um für Matilda meinen Ausflug halbwegs glaubwürdig erscheinen zu lassen, holte ich noch Wasser an demselben Brunnen, wo ich am Morgen mit Clarissa gewesen war. Wieder wurde ich von allen Seiten angestarrt, doch mindestens genauso viele neugierige Blicke galten Sebastiano.
Als wir vor Matildas Laden ankamen, fragte ich Sebastiano höflichkeitshalber, ob er mit reinkommen wollte, doch wie erwartet lehnte er ab. »Matilda ist nicht gut auf mich zu sprechen, sie glaubt, ich hätte Clarissa ins Unglück gestürzt. Und Clarissa …« Er hielt inne. »Es gäbe nur wieder endlose Auseinandersetzungen.«
»Weswegen?«
»Ihr derzeitiges Leben betreffend.« Er zuckte die
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