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Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber

Titel: Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Völler
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herumzureden. »Eines kommt mir merkwürdig vor. Wie konntest du in Paris auf dem Karren sitzen, aber dann auf einmal in Venedig wieder auftauchen?«
    Das schlechte Gewissen stand ihr im Gesicht geschrieben. Mein Schuss ins Blaue hatte getroffen.
    »Du warst überhaupt nicht in Paris, als es passierte«, sagte ich ihr auf den Kopf zu. »Sondern hier in Venedig. Genau wie ich.«
    Sie machte nicht den Versuch, es abzustreiten.
    »Bist du am Ende gar nicht aus Frankreich?«, fragte ich.
    »Das bin ich sehr wohl«, sagte sie beleidigt. »Und adelig bin ich auch!«
    »Hast du wirklich zugesehen, wie der König und Marie Antoinette hingerichtet wurden?«
    Verlegen wich sie meinem Blick aus. »Ich war bereits davor aus Paris geflohen«, gab sie zu. »Die Jakobiner brachten reihenweise Leute um, für die Anklage reichte oft schon, dass man von Adel war und in einem schönen Haus wohnte.«
    »An die Laterne«, murmelte ich. Ein kleines, bedeutungsloses Detail aus dem Geschichtsunterricht, an das ich mich auf einmal erinnerte.
    »Ganz recht, so waren sie. Oder werden sie sein, je nachdem. Ich floh mit Freunden vor dem Blutvergießen nach Venedig. Einer von ihnen hatte hier Verwandte, wir wurden freundlich aufgenommen, obwohl Franzosen zu meiner Zeit in Venedig nicht sehr beliebt waren. Wir hatten genug Gold mitgenommen, um uns ein schönes Leben zu machen. Hier waren wir sicher, die Revolution war weit weg. Wir feierten viele Maskenbälle und kannten kein Morgen! Ah, der venezianische Karneval zu meiner Zeit, das war ein niemals endendes Fest!«
    Ich setzte an, ihr zu erzählen, dass sie daran sowieso nicht mehr viel Spaß gehabt hätte, weil bald darauf Napoleon in Venedig eingefallen war und es sich für Frankreich unter den Nagel gerissen hatte. So hatte es der Stadtführer berichtet. Die Jahreszahl hatte ich nicht mehr exakt im Kopf, ich konnte mir einfach keine Zahlen merken, egal ob in Mathe oder Geschichte. Aber es war Siebzehnhundertpaarundneunzig gewesen, dass wusste ich noch. Und auch, dass Napoleon den Karneval abgeschafft hatte. Doch die Sperre hinderte mich, darüber zu reden.
    »Ich will offen zu dir sein«, sagte Clarissa leise und mit beschämt gesenktem Kopf. »Als es geschah, feierte ich hier in der Stadt Karneval. Die ganze Nacht.«
    »Na so was«, sagte ich verdutzt. »Erzähl mir davon!«
    Sie war auf einem Maskenball gewesen, wie an fast jedem Abend während der Karnevalszeit. Zusammen mit ihren Freunden und ein paar Musikern war sie danach auf ein Boot gestiegen, um auf dem Wasser weiterzufeiern.
    »Wir fuhren mit einer prachtvoll geschmückten Barke auf dem Canal Grande spazieren. Ein großes buntes Feuerwerk auf der Piazza erleuchtete den Himmel über der ganzen Stadt. Überall spielte die Musik, wir lachten und sangen und scherzten und genossen unser Leben. Ich trug ein wundervolles Kleid aus Crpe de Chine, über und über mit Spitzen aus Burano verziert. Das ist eine Insel, die zu Venedig gehört und sehr bekannt ist für ihre einzigartige Spitzenklöppelei«, flocht sie ergänzend ein.
    »Ich weiß, ich war schon dort. Erzähl weiter!«
    »Dazu trug ich eine Perücke, wie es zu meiner Zeit Mode war, ganz hoch aufgetürmt und mit den herrlichsten Dekorationen. Der Coiffeur hatte sogar einen Käfig mit einfrisiert, in dem ein kleiner Vogel saß.«
    »Ein echter?«, fragte ich ungläubig.
    »Gewiss. Er zwitscherte pausenlos, es war ein großer modischer Erfolg!« Sie hielt inne. »Du siehst so befremdet aus«, sagte Clarissa. »Bist du mir sehr böse, dass ich dich angeflunkert habe?«
    »Nein, das ist eher wegen des Vogels«, sagte ich wahrheitsgemäß. »Quäle nie ein Tier zum Scherz und so weiter. Warum tatest du es überhaupt? Ich meine, mich anschwindeln?«
    Zerknirscht blickte sie mich an. »Weil ich nicht wollte, dass du Schlechtes von mir denkst.«
    »Was denn?«, fragte ich erstaunt.
    »Dass ich dekadent bin. Vergnügungssüchtig und gedankenlos. Dass ich fortlaufe und mich in den Karneval stürze, während daheim die Tuilerien verwüstet werden und meine Verwandten für ihre royalistische Überzeugung aufs Schafott gehen.«
    »Was hättest du denn machen sollen? Bleiben und dich aus lauter Sympathie zusammen mit ihnen köpfen lassen?«
    »Das ist auch wieder wahr«, räumte sie ein. »Trotzdem war es egoistisch und unedel von mir.«
    »Erzähl mir noch, wie du auf die rote Gondel gekommen bist«, forderte ich sie auf.
    »Es war ein dummes Versehen. Ich fiel von der Barke in den Kanal. Die

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