Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
seltsam knochig und heiß und ich zuckte mit einem Aufschrei zusammen.
Ächzend fuhr ich hoch und blickte mich um. Fast glaubte ich, die beiden noch neben mir stehen zu sehen, doch natürlich war da niemand. Ich war nicht vier, sondern siebzehn und lag auf dem harten Boden in der Dachkammer von Monna Faustina. Ein paar Schritte entfernt schlief Sebastiano, ich lauschte kurz und hörte vom Bett her regelmäßige Atemgeräusche.
Was für ein verrückter Traum!
Doch dann gingen meine Gedanken in die Vergangenheit, suchten und gruben und fanden. Ich hatte nicht geträumt. Es war wirklich passiert!
Mit einem Mal erinnerte ich mich, als wäre es eben erst passiert. Der alte Mann war José, die alte Frau Esperanza. Jetzt begriff ich auch, warum die beiden mir so bekannt vorgekommen waren. Ich war ihnen schon einmal begegnet, als kleines Kind, und ich hatte es völlig vergessen.
Ich schloss die Augen und versetzte mich im Geiste zurück an jenen Tag, an dem es geschehen war.
Ich saß im hohen Gras, die Sonne schien und die Vögel zwitscherten. Zwischen meinen Füßen lagen die zerdrückten Blumen. Meine Finger waren grün wie das Gras um mich herum.
Die Stelle in meinem Nacken, wo die alte Frau mich berührt hatte, brannte fast so stark wie meine Augen. Es tat jedoch nicht weh, es war einfach nur heiß, und noch während ich überlegte, ob ich deswegen anfangen sollte zu weinen, ließ es auch schon nach, bis nur noch ein schwaches Jucken zu spüren war.
»Du hast nun eine Gabe«, sagte die Alte.
»Nutze sie gut«, fügte der einäugige alte Mann hinzu.
»Anna, wo bist du denn?«, hörte ich Mama rufen.
Die beiden Alten entfernten sich und verschwanden hinter einer Gruppe von Bäumen, während ich stumm sitzen blieb und nicht verstand, was soeben mit mir geschehen war.
Ein paar Augenblicke später tauchte Mama auf und hob mich hoch. Ich schlang die Arme um ihren Hals und schmiegte mich an sie. Jetzt fing ich doch noch an zu heulen, aber diesmal nicht aus Wut, sondern weil ich so verstört und gleichzeitig erleichtert war.
»Da war eine alte He-Hexe«, schluchzte ich. »Und dann war da noch der Playmo-mobil-Pirat!«
»Schätzchen, du hast zu viel Fantasie.« Mama befühlte meinen Kopf. »Himmel, du hast ja Fieber!«
Und so wurde an diesem Tag nichts mehr aus dem Picknick und aus weiteren Blumenkränzen. Meine Eltern verfrachteten mich schnellstens ins Bett. Der Arzt diagnostizierte Dreitagefieber und verordnete Ruhe. Und ich war davon überzeugt, dass ich mir alles nur eingebildet hatte. Danach war es kein Problem, alles einfach zu vergessen. Ich war ja erst vier.
Langsam machte ich die Augen wieder auf und blickte in die Dämmerung des Dachbodens. So war das also! Meine intermittierenden Wahrnehmungsstörungen hatte ich einer lange zurückliegenden Begegnung mit diesen beiden merkwürdigen Alten zu verdanken. Sie hatten mich irgendwie … manipuliert. So ähnlich wie bei den Leuten, die behaupteten, Außerirdische hätten sie entführt und ihnen einen Chip implantiert. Unwillkürlich betastete ich meinen Nacken, aber dort fand ich nur glatte, warme Haut, nicht den kleinsten Fremdkörper. Es juckte auch nicht, jedenfalls nicht im Moment.
Es tat zwar ziemlich weh, aber das kam von den Quetschungen, die ich von Alvises Würgegriff davongetragen hatte. Auch mein übriger Körper schmerzte, als hätte man mich durch eine Mangel gedreht, was wiederum an meinem unbequemen Schlafplatz auf dem harten Untergrund lag. Von wegen Ellbogen und Glückseligkeit.
Stöhnend kämpfte ich mich unter Sebastianos Umhang hervor und blickte mich um.
Durch die mit einer Schweinsblase vernagelte Dachluke drang schwaches Licht. Jedenfalls genug, um eines zu erkennen: kein Nachttopf weit und breit.
Bis zum Morgenläuten konnte es nicht mehr lange dauern. Besser, ich brachte den notwendigen Gang zum Plumpsklo sofort hinter mich. Die Stiege knarrte unter meinen Füßen, ebenso wie die Hintertür, als ich sie öffnete, doch Monna Faustina ließ sich davon nicht aus ihrem Gemach locken. Nach der nächtlichen Lauscherei musste sie wohl noch Schlaf nachholen.
Draußen war es kühl und der Boden nass. In der Nacht musste es geregnet haben. Schlotternd überwand ich mich, trotzdem ins Freie zu gehen. Wie bei der Kräuterhandlung gab es hinter dem Haus einen kleinen Hof mit dem obligatorischen Abtritt. Dieser war, wenn irgend möglich, noch widerwärtiger als bei Matilda. Das reinste Gruselkabinett. Während ich mich mit meinem kleinen
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