Zeitenzauber - Völler, E: Zeitenzauber
hielt ich inne. »Eigentlich nichts davon, oder? Habt ihr auch ein Wort für jemanden wie mich?«
»Nicht, dass ich wüsste. Vielleicht bist du so eine Art Joker. Ich werde José danach fragen.«
»Und Alvise? Zu welcher Sparte gehört er?«
Sebastiano öffnete den Mund, doch es kam nichts heraus. Von unten war ein Scharren zu hören. Monna Faustina hatte ausgeschlafen und war wieder ganz Ohr.
»Ich glaube, jetzt kann ich ein Frühstück vertragen«, sagte ich. »Hast du noch ein bisschen Kleingeld?«
Nach einem Stück Brot und einem weiteren Becher Wasser war ich zwar halbwegs satt, aber nicht wesentlich klüger. In der kurzen Zeit, die Monna Faustina auf dem Abtritt war und nicht zuhören konnte, hatte ich Sebastiano nicht mehr viel fragen können.
Der Spiegel, so hatte Sebastiano berichtet, zeige nur eine Abfolge von Bildern mit einzelnen Geschehnissen, nur stand leider keine Datumsangabe dabei. Man musste sich selbst zusammenreimen, wann die brenzligen Situationen eintraten, und sie dann rechtzeitig verhindern. In diesem Fall den Mord an Trevisan. Oder besagte Besprechung im Dogenpalast, mit der Alvise mächtige Männer auf seine Seite bringen und seine Machtergreifung vorbereiten wollte.
Alvise war anscheinend ein Fall für sich. Viel hatte Sebastiano mir nicht über ihn erzählen können, denn gerade als es richtig spannend wurde, war Monna Faustina ins Haus zurückgekehrt und hatte ihren Horchposten unter der Treppe bezogen. Doch immerhin hatte ich erfahren, dass Alvise ursprünglich genau wie die Tasselhoffs in die Vergangenheit verpflanzt worden war. Das war vor fünf Jahren geschehen. Sebastiano wusste nur vom Hörensagen davon, denn nicht er selbst, sondern sein Vorgänger, ein Mann namens Giancarlo, hatte Alvise damals mit der roten Gondel in die Vergangenheit gebracht. Auf diese Weise hatte Alvise seine neue Familie gefunden, nämlich seinen Bruder Giovanni und seinen Vater Pietro Malipiero. Doch im Gegensatz zu all den anderen Verpflanzten hatte er plötzlich seine Erinnerung zurückerlangt und sofort angefangen, hässliche Pläne zu schmieden.
Warum er sein Gedächtnis zurückgewonnen hatte und wie er es obendrein auch noch schaffte, in der Zeit hin- und herzureisen, musste Sebastiano mir noch erklären. Sobald Monna Faustina das nächste Mal zum Abtritt ging. Oder wir von hier verschwanden.
In dieser stinkenden kleinen Dachkammer konnten wir jedenfalls unmöglich bleiben. Noch im Laufe des Vormittags wurde es unter den niedrigen Sparren so heiß, dass es kaum auszuhalten war. Sebastiano war nach unserem Gespräch wieder eingeschlafen, aber er warf sich unruhig hin und her und stöhnte jedes Mal, wenn er seine verletzte Seite bewegte. Zwischendurch hustete er. Auf seiner Stirn sammelte sich Schweiß und auch sein Hemd war bald nassgeschwitzt. Er murmelte unverständliche Satzfetzen vor sich hin, wachte jedoch nicht auf.
Irgendwann fand ich, dass er lange genug geschlafen hatte. Vorsichtig rüttelte ich an seiner Schulter. »Sebastiano? Wir haben schon bald Mittag. Sollten wir nicht irgendwas … unternehmen?«
Anstelle einer Antwort stöhnte er nur, dass er noch ein paar Stunden Schlaf vertragen könne. Besorgt legte ich die Hand auf seine Stirn – und erschrak, als ich die Hitze unter meinen Fingern spürte. Ich hatte keine Ahnung von Krankenpflege, aber dass er Fieber hatte, wäre selbst dem Dümmsten aufgefallen.
»Du hast Fieber«, sagte ich überflüssigerweise.
»Lass mich einfach noch eine Weile schlafen, okay?«
Meine Besorgnis schlug in Panik um. Fieber konnte alles Mögliche bedeuten. Zum Beispiel, dass sich seine Wunde entzündet hatte und er dem Tode nah war.
Er musste unbedingt zu einem Arzt! Natürlich zu einem richtigen, nicht zu einem dieser Quacksalber, die sich in diesem Jahrhundert Doktoren nannten und sich hauptsächlich dadurch hervortaten, dass sie andere Leute zur Ader ließen.
Mir blieb keine Wahl. Ich musste ihn allein lassen, um Hilfe zu holen.
Monna Faustina schaute misstrauisch drein, als ich ihr erklärte, mein Mann müsse noch eine Weile schlafen und dürfe nicht gestört werden.
»Er hat eine anstrengende Reise hinter sich«, sagte ich, was die reine Wahrheit war. Dann machte ich mich auf den Weg. Von dem Geld, das ich mir aus Sebastianos Börse geborgt hatte, mietete ich eine Gondel. Der Gondoliere musterte mich von oben bis unten, und als seine Blicke an meinem Ausschnitt hängenblieben, fiel mir ein, dass ich immer noch das Ballkleid vom Vorabend
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