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Zeitfinsternis

Zeitfinsternis

Titel: Zeitfinsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David S. Garnett
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erledigen müßte, was auch der Fall zu sein schien. Der Mann senkte seine Waffe. Sir Guy schickte mit seinen Absätzen Gilbert vorwärts. Er erreichte den Mann, ritt an ihm vorbei. Er war hindurch.
    „Ich glaube Euch nicht“, hörte er den Soldaten sagen.
    Guy sah hastig über die Schulter und starrte die Pfeilspitze an, dann an dem Arm des Mannes hinauf bis zu seinen Fingern, die die straff gespannte Bogensehne festhielten. Der Augenblick dauerte ewig. Dann handelte er ohne zu überlegen und Heß sich aus dem Sattel fallen, statt abzusteigen oder sich zur Seite zu lehnen. In diesem Augenblick wurde der Pfeil abgeschossen und pfiff an der Stelle durch die Luft, wo eine halbe Sekunde vorher noch seine Wirbelsäule gewesen war.
    Guy erhob sich ohne Hast, wischte sich den Staub von den Knien, zog sein Schwert und ging auf den erstaunten Soldaten zu, der zwei oder drei Schritte zurückstolperte, stieß ihm mit kühler Entschlossenheit die Klinge sauber und genau in den Magen und drehte sie herum.
    Damit hatte er in seinem Leben bereits zwei Männer umgebracht; zwei in ebenso vielen Tagen, obwohl er sich vielleicht darauf fürs erste nicht viel einbilden konnte. Er war überrascht, wie leicht es ging.
    Er wischte sein Schwert ab und dachte, daß die Klinge durch das Blut schon besser aussah. Er stand ein paar Sekunden gedankenverloren über der Leiche. Er zog ihr den Mantel aus, der kaum mit Blut bespritzt war; glücklicherweise hatte er offengestanden. Er packte den toten Körper an den Beinen und schleifte ihn von der Straße herunter in entgegengesetzter Richtung in den Wald, aus der der Mann gekommen war, als er noch lebte. Auch den Bogen und die beiden abgeschossenen Pfeile ließ er verschwinden.
    Er zog den Mantel des Bogenschützen an, der ihm bis zu den Oberschenkeln reichte, und zeigte damit der Welt, daß er ganz offensichtlich ein flämischer Soldat war, der mit Fug und Recht durch dieses Land reiten durfte. Daraufhin bestieg er Gilbert wieder und setzte seine Reise fort.
    Erst dann mußte er sich heftig übergeben.
     
     
    Das ist neu, er weiß es sicher; eine ganze Reihe von merkwürdigen und oft unangenehmen Gefühlen. Er geht den dunklen Gang entlang und setzt sich automatisch die Brille auf, die bei den Kleidern gelegen hat. Immer weiter und weiter führt der Weg, windet sich und wird enger. M ASCHINE hat ihn bisher noch nie herausgelassen – wollte er aber früher schon einmal weg?
    Da müssen noch andere ganz in der Nähe sein. Jemand hat die Kleider dagelassen, wenn sie M ASCHINE nicht schon vor Tagen vorbereitet hat. Auch sein Essen kommt von irgendwoher, aber nicht aus der gleichen Wand, die sich gehoben hat. Gibt es noch einen Gang? Eine ganze Menge davon? Wohin führt dieser hier?
    Angst vor dem Unbekannten: Aber was hat der Erste Wächter zu fürchten?
    Wo sind sie alle?
    Warum ist der Tunnel so dunkel?
    Wissen die Beobachter, daß er kommt?
    Er überlegt sich, ob er wieder zurückgehen soll – vielleicht macht er das ja. M ASCHINE hat ihn herausgelassen, weil er nichts erreichen wird. Oder sollte er versuchen zu entkommen? Wohin aber sollte er entkommen – und wem oder was würde er entkommen? Der Erste Wächter hat keinen Grund dafür wegzulaufen. Er ist es, der den anderen Wächtern und den Beobachtern die Befehle erteilt, und durch sie hat er die Welt unter Kontrolle. Die Logik sagt ihm, daß er nichts zu befürchten hat; aber um ihn herum ist alles schwarz, und in seiner Wohnung brennt immer Licht.
    Erster geht weiter, bis er vor sich Geräusche bemerkt: Fußtritte. Jemand bewegt sich schnell und kümmert sich nicht um das Geräusch, das sie erzeugen. Und warum sollte derjenige, wer es auch immer sein mag, sich leise bewegen? Anders als Erster gehört er/sie/es wahrscheinlich hierher. Erster bleibt stehen. Sollte er versuchen zu fliehen? Er weiß, daß er zu schwach ist, um weit zu kommen. Er ist untrainiert, und schon von der Anstrengung, ein paar Meter oder ein bißchen mehr an einem Stück zu Fuß zu gehen, ist er müde. Mit offenem Mund saugt er gierig die abgestandene Luft in die Lungen. Er wartet und ist zuversichtlich, daß M ASCHINE ihn nicht herausgelassen hat, damit er sich verletzt. Plötzlich kommt ihm die Idee, daß es vielleicht ganz genau das ist, was M ASCHINE will. Er weiß aber, daß sie von ihm genauso abhängig ist wie er von ihr; ihre Beziehung ist symbiotisch.
    Vielleicht eine Sekunde ist verstrichen, seit er die Person, die auf ihn zukommt, zum ersten Mal gehört

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