Zeitgenossen - Kampf gegen die Sybarites (Bd. 2) (German Edition)
auf.
In ihrem Zimmer empfing mich ihr Arzt. »Sie sind eine Freundin von ihr?«, fragte er mich mit prüfendem Blick. Ich nickte.
»Gut, dann sorgen Sie dafür, dass sie sich etwas ausruhen kann«, bat er mich. »Ich habe ihr ein Beruhigungsmittel gegeben, dass sie erstmal eine Weile schlafen lässt. Es geht ihr soweit ganz gut und sie wird vermutlich mit einer leichten Erkältung davon kommen.«
Ich dankte ihm und versprach, mich um Mary zu kümmern. Dann schrieb ich eine kurze Nachricht an Giles, in der ich ihm mitteilte, was passiert war und dass ich zunächst in Marys Haus bleiben würde, und bat einen Dienstboten, die Nachricht in unser Haus zu bringen. Ich sah kurz nach Fanny, die von einem Kindermädchen bewacht in ihrem Bettchen schlief und glücklicherweise von dem ganzen Aufruhr offenbar nicht viel mitbekommen hatte. Anschließend ging ich in Marys Zimmer, setzte mich in einen hohen Lehnstuhl an ihr Bett und las in einem ihrer Bücher.
Als die Dämmerung hereinbrach, zündete ich eine Petroleumlampe an. Ich hätte zwar mühelos im Dunkeln weiterlesen können, doch falls Mary erwachte, sollte sie sich nicht gleich in einem finsteren Raum wieder finden. Ein paar Stunden später schreckte sie aus dem Schlaf hoch. Sie sah sich zunächst irritiert im Zimmer um, dann traf ihr Blick auf den meinen und sie entspannte sich. »Danke, dass du da bist«, flüsterte sie leise.
»Keine Ursache«, antwortete ich ruhig.
Sie runzelte die Stirn. »Du bist wütend auf mich«, stellte sie fest.
»Ein wenig«, gab ich zu.
»Aber warum?«, fragte sie bedrückt.
Ich klappte das Buch zu. »In diesem Buch von dir, Mary, stehen so viele großartige Thesen«, begann ich verärgert, »Thesen über die Rechte der Frau und über ihren besonderen Stellenwert als Mutter und Ehefrau. Aber du selbst scheinst deinen Stellenwert als Mutter nicht sonderlich ernst zu nehmen, wenn du wegen solch eines Idioten so leichtfertig bereit bist, dein Leben wegzuwerfen und deine kleine Tochter im Stich zu lassen.«
Mary sah mich erschrocken an. »Er ist kein Idiot. Er ist Fannys Vater«, erwiderte sie zaghaft.
»Und er ist doch ein Idiot, wenn er sich ein Leben an der Seite einer so großartigen Frau und einer so süßen kleinen Tochter entgehen lassen will«, schnaubte ich. »Und du bist ebenfalls eine Idiotin, wenn du meinst, er wäre es wert, ihm auch nur eine Träne nachzuweinen. Außerdem hast du Verantwortung, verdammt noch mal! Ist dir Fanny denn völlig egal?«
Mary begann zu schluchzen. »Nein, das ist sie nicht!«, antwortet sie unter Tränen. »Ich habe einfach nicht nachgedacht.«
Ich nahm sie tröstend in den Arm. »Und das ist es, was ich nicht verstehe«, erklärte ich seufzend. »Du hast einen so außerordentlichen Verstand. Nur in Bezug auf dein eigenes Leben scheint er komplett zu versagen.«
»Ich weiß«, gab sie kleinlaut zu.
Nach einer Weile hatte wir uns beide wieder etwas beruhigt. Mary wollte noch ein wenig schlafen und ich versprach ihr, am nächsten Morgen noch mal nach ihr zu sehen.
Am nächsten Morgen sprachen wir über die Geschehnisse des letzten Tages. Mary hatte inzwischen aufgrund ihrer Kurzschlusshandlung ein ziemlich schlechtes Gewissen und gelobte, sich in Zukunft mehr zusammenzureißen.
Tatsächlich schien sie die Trennung von Gilbert Imlay in den darauf folgenden Wochen immer besser zu verkraften und sie konzentrierte sich wieder verstärkt auf ihr feministisches Engagement.
In den folgenden Monaten intensivierte Mary ihre Bekanntschaft zu dem Schriftsteller William Godwin, den sie bereits vor einigen Jahren durch unseren Verleger Joseph Johnson kennengelernt hatte. Godwin war ebenso wie Mary ein streitbarer Geist und setzte sich für gerechtere Lebensbedingungen in der Gesellschaft und für die Gleichberechtigung der Frau ein. Über ihre gemeinsamen Interessen schienen die beiden auch privat zueinandergefunden zu haben, denn als Mary feststellte, dass sie von Godwin schwanger war, heirateten die beiden im März 1797.
Giles und ich hatten uns inzwischen in London als Lord Arlington und Lady Larchant wieder sehr gut eingelebt. Da wir unsere ohnehin nicht geringen Vermögen durch geschickte Geschäfte an der Londoner Börse Royal Exchange weiterhin aufstocken konnten, war es uns möglich, einem angenehmen Lebensstil zu pflegen.
Wenngleich unsere Mittel uns auch einen hohen Lebensstandard ermöglichten, so waren wir doch in London beim »Ton«, der besseren Gesellschaft, aufgrund des Umstandes,
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