Zeitlose Zeit
Lichter.
Was würde der Taxifahrer wohl sagen; wenn ich ihn bitten würde, mich aus der Stadt hinauszufahren? dachte Ragle.
Er beugte sich vor und tippte dem Chauffeur auf die Schulter.
»He«, sagte er.
»Ja, Mr. Gumm.«
»Wie wär’s, wenn Sie mich gleich aus der Stadt hinausfahren? Vergessen wir den Bus.«
»Tut mir leid, Sir«, sagte der Fahrer. »Ich darf keine Fernfahrten machen. Das ist verboten. Wir sind auf den Ortsbereich beschränkt und dürfen nicht mit der Buslinie konkurrieren.«
»Sie sollten sich nebenbei ein paar Dollar verdienen können. Vierzig Meilen mit laufender Uhr – ich wette, Sie haben das schon gemacht, Vorschrift hin, Vorschrift her.«
»Nein, nie«, sagte der Fahrer. »Vielleicht andere Fahrer, aber ich nicht. Ich will meine Lizenz nicht verlieren. Wenn die Autobahnpolizei draußen ein Stadttaxi erwischt, wird es sofort angehalten, und wenn es einen Fahrgast befördert, wumm, ist die Lizenz weg. Und die fünfzig Dollar Kaution. Und der Lebensunterhalt.«
Legen sie es darauf an, mich am Verlassen der Stadt zu hindern? dachte Ragle. Ist das eine Verschwörung?
Wieder meine Geisteskrankheit, dachte er.
Oder doch nicht?
Wie kann ich das erkennen? Welchen Beweis habe ich?
Eine blaue Neonschrift hing mitten auf einem grenzenlosen weiten Feld. Das Taxi fuhr darauf zu und hielt am Randstein.
»Da wären wir«, sagte der Fahrer. »Das ist der Busbahnhof.«
Ragle öffnete die Tür und stieg aus. Die Schrift sagte: ›Nonpareil Buslinien‹.
»Ich wollte aber zur Greyhound-Linie«, sagte Ragle betroffen.
»Das ist sie«, sagte der Fahrer. »Soviel wie. Die Buslinie. Hier gibt es keine Greyhound-Linie. Der Staat erlaubt nur eine Linie für eine Stadt von dieser Größe. Nonpareil war schon Jahre vor Greyhound da. Greyhound wollte sie aufkaufen, aber man machte nicht mit. Dann versuchte Greyhound ...«
»Okay«, sagte Ragle. Er bezahlte, gab ein Trinkgeld und ging über den Gehsteig zu dem würfelförmigen Backsteingebäude, dem einzigen Haus weit und breit. Auf beiden Seiten wucherte Unkraut. Unkraut und zerbrochene Flaschen ... Papierabfall. Verlassene Gegend, dachte er. Am Stadtrand. In weiter Ferne konnte er das Reklamezeichen einer Tankstelle sehen, dahinter Straßenlampen. Sonst nichts. Er fröstelte in der Nachtluft, als er die Holztür öffnete und in den Wartesaal trat.
Ein gewaltiger Schwall wirren, verzerrten Lärms und verbrauchter, rauchiger Luft erfaßte ihn. Der Wartesaal lag vor ihm, vollgestopft mit Menschen. Die Bänke waren besetzt von schlafenden Matrosen und niedergeschlagenen, erschöpft aussehenden Schwangeren, von alten Männern in dicken Mänteln, von Vertretern mit ihren Musterkoffern, von Kindern, die ihre guten Sachen trugen und hin- und herrutschten. Eine lange Menschenschlange erstreckte sich bis zum Fahrkartenschalter. Er konnte auf Anhieb sehen, daß sie nicht vorrückte.
Wie oft fahren die Busse von Nonpareil? fragte er sich.
Er zündete sich eine Zigarette an und versuchte es sich bequemer zu machen. Wenn er sich an die Wand lehnte, vermochte er seine Beine ein wenig zu entlasten. Aber viel half es nicht. Wie lange werde ich hier festsitzen? dachte er.
Eine halbe Stunde später war er nur ein paar Zentimeter weit gekommen. Und niemand hatte sich vom Schalter entfernt. Er verdrehte den Hals und versuchte den Mann am Schalter zu erkennen. Es ging nicht. Eine breitgebaute, ältere Frau im schwarzen Mantel nahm den ersten Platz ein; sie drehte ihm den Rücken zu, und er nahm an, daß sie ihre Fahrkarte bezahlte. Aber sie wurde nicht fertig. Die Transaktion nahm kein Ende. Hinter ihr stand ein magerer, älterer Mann im zweireihigen Anzug und kaute gelangweilt an einem Zahnstocher. Hinter ihm murmelte ein junges Paar miteinander, ohne auf die Umgebung zu achten. Und danach floß die Reihe ineinander, und er konnte nichts erkennen als den Rücken des Mannes unmittelbar vor sich.
Nach fünfundvierzig Minuten stand er immer noch am selben Platz. Kann ein Irrer den Verstand verlieren? dachte er. Wieviel Zeit braucht es, um eine Fahrkarte für die Nonpareil-Linie zu bekommen? Werde ich ewig hier sein?
Eine wachsende Angst erfaßte ihn. Vielleicht würde er hier stehen, bis er starb. Unveränderliche Wirklichkeit ... derselbe Mann vor ihm, derselbe junge Soldat hinter ihm, dieselbe traurige Frau mit den leeren Augen auf der Bank.
Der junge Soldat hinter ihm bewegte sich, stieß ihn an und murmelte: »Verzeihung, Kumpel.«
Er brummte.
Der Soldat verschränkte die Finger und
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