Zeitlose Zeit
ließ seine Gelenke knacken. Er befeuchtete die Lippen und sagte zu Ragle: »He, Kumpel, kann ich Sie was fragen? Heben Sie mir den Platz auf?« Bevor Ragle etwas erwidern konnte, drehte sich der Soldat nach der Frau hinter ihm um: »Lady, ich muß nachsehen, ob es meinem Kameraden gutgeht; kann ich wieder hier rein?«
Die Frau nickte.
»Danke«, sagte der Soldat und zwängte sich durch die Menschenmenge zur anderen Ecke hinüber.
In der Ecke saß ein zweiter Soldat, die Beine gespreizt, das Gesicht auf den Knien; seine Arme hingen herab. Sein Kamerad setzte sich neben ihn, rüttelte ihn und begann drängend auf ihn einzureden. Der zusammengekrümmte Mann hob den Kopf, und Ragle sah den starren Blick und schlaffen Mund des Betrunkenen.
Armer Kerl, dachte er. Auf einer Sauftour gewesen. Während seiner eigenen Militärzeit war er mehrmals mit einem schweren Kater in einem Busbahnhof gelandet und hatte versucht, zur Kaserne zurückzukommen.
Der andere Soldat stellte sich wieder an seinen Platz in der Reihe. Aufgeregt zupfte er an seiner Unterlippe, sah zu Ragle auf und sagte: »Da rührt sich aber auch gar nichts. Ich glaube, ich stehe schon seit fünf Uhr hier.« Er hatte ein glattes, junges Gesicht, jetzt von Sorge verzerrt. »Ich muß zu meiner Einheit zurück«, sagte er. »Phil und ich müssen um acht da sein, sonst gilt das als unerlaubte Entfernung von der Truppe.«
Ragle schätzte ihn auf achtzehn, neunzehn Jahre. Blond, ein wenig mager. Von den beiden war er offenkundig derjenige, der sich um alles kümmerte.
»Pech«, sagte Ragle. »Wie weit haben Sie?«
»Bis zum Flugplatz an der Autostraße«, sagte der Soldat. »Die Raketenbasis. Früher war es ein Flugplatz.«
Bei Gott, dachte Ragle. Wo die Dinger starten und landen!
»Sind Sie hier in den Bars herumgezogen?« fragte er.
»Ach was, nein, nicht in dem Kaff hier. Nein, wir kommen von der Küste; wir hatten eine Woche Urlaub. Mit dem Auto.«
»Mit dem Auto«, wiederholte Ragle. »Was machen Sie dann hier?«
»Phil ist der Fahrer«, sagte der junge Soldat. »Ich kann nicht fahren. Und er ist nicht nüchtern geworden. War ein ganz alter Karren. Wir haben ihn stehenlassen. Wir können nicht warten, bis er nüchtern ist. Außerdem braucht er einen neuen Reifen. Er steht mit einem Platten hinten an der Straße. Ist nur noch an die fünfzig Dollar wert; ein 36er Dodge.«
»Wenn Sie jemand hätten, der fahren kann, würden Sie dann mit dem Auto weiterfahren?« fragte Ragle. Ich kann fahren, dachte er.
Der Soldat starrte ihn an.
»Und der Reifen?«
»Ich beteilige mich an den Kosten«, sagte er. Er griff nach dem Arm des Soldaten, führte ihn fort aus der Reihe und durch die Menge zu seinem Freund. »Vielleicht bleibt er besser hier, bis der Wagen fährt«, sagte er. Phil sah nicht so aus, als könne er sehr weit oder sehr gut gehen. Er schien nur undeutlich wahrzunehmen, wo er sich befand.
»He, Phil, der Mann da fährt«, sagte der andere Soldat. »Gib mir die Schlüssel.«
»Bist du das, Wade?« ächzte der Soldat.
Wade kauerte sich nieder und kramte in den Taschen seines Freundes.
»Da«, sagte er, als er die Schlüssel fand, und warf sie Ragle zu. »Paß auf«, sagte er zu Phil. »Du bleibst hier. Wir gehen zum Auto zurück und machen es mobil; wir kommen vorbei und holen dich ab. Okay? Hast du kapiert?«
Phil nickte.
»Gehen wir«, sagte Wade zu Ragle. Als sie die Tür aufstießen und aus dem Wartesaal auf die dunkle, kalte Straße traten, sagte Wade: »Hoffe bloß, daß der Kerl nicht in Panik gerät und wegrennt; dann finden wir ihn nie.«
Wie dunkel alles war. Ragle konnte kaum das rissige, unkrautbewachsene Pflaster unter seinen Schuhen sehen, als Wade und er sich auf den Weg machten.
»Ist das nicht der Arsch der Welt?« sagte Wade. »Sie stecken die Busbahnhöfe immer in die Slums, wenn die Stadt groß genug ist für Slums, und wenn nicht, dann stehen sie am Arsch der Welt, wie hier.« Er marschierte weiter und zertrat mit den Schuhen die verschiedenen Dinge, die sie nicht sehen konnten. »Verdammt dunkel«, meinte er. »Was soll das, alle zwei Meilen eine Lampe?«
Ein heiserer Schrei hinter ihnen veranlaßte sie stehenzubleiben. Ragle drehte sich um und sah den anderen Soldaten im blauen Lichtschein der Neonschrift stehen. Er war ihnen aus dem Wartesaal nachgewankt, beugte sich in die eine, dann in die andere Richtung, brüllte nach ihnen, ging ein paar Schritte, blieb stehen und stellte seine beiden Koffer ab.
»O je«, sagte Wade. »Wir müssen
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