Zeitlose Zeit
Sohn.
»Ja.«
Der junge Mann streckte verlegen die Hand aus.
»Ich heiße Garret«, sagte er. Sie schüttelten sich die Hände. »Ich arbeite auf dem Gebiet der Innenarchitektur.«
Das erklärte die geschmackvolle Einrichtung.
»Es sieht sehr schön aus hier«, sagte Ragle.
»Was machen Sie beruflich?« fragte Garret Kesselman.
»Ich habe mit der Zeitung zu tun«, sagte Ragle.
»Oh, Donnerwetter. So etwas. Das muß sehr interessant sein. Als ich auf die Schule ging, habe ich zwei Jahre Journalismus studiert.«
Mrs. Kesselman kam mit einem Tablett zurück, auf dem drei kleine Gläser und eine Flasche von ungewöhnlicher Form standen.
»Tennessee-Whisky«, sagte sie und stellte das Tablett auf die Glasplatte des Kaffeetisches. »Aus der ältesten Brennerei des Landes. Jack Daniel’s.«
»Nie davon gehört«, sagte Ragle, »aber es hört sich großartig an.«
»Es ist ausgezeichneter Whisky«, sagte Garret und gab Ragle ein Glas davon. »So ähnlich wie kanadischer Whisky.«
»Ich trinke sonst nur Bier«, sagte Ragle. Er trank einen Schluck von dem Whisky, der war in Ordnung. »Sehr gut«, sagte er.
Dann schwiegen sie alle drei.
»Scheint keine gute Zeit zu sein, herumzufahren und jemand zu suchen«, meinte Mrs. Kesselman, als Ragle sein Glas leergetrunken hatte und nachfüllte. »Die meisten Leute wagen sich den Berg nur bei Tageslicht herauf.« Sie setzte sich ihm gegenüber. Ihr Sohn saß auf der Armlehne des Sofas.
»Ich hatte Streit mit meiner Frau und hielt das nicht mehr aus«, sagte Ragle. »Ich mußte weg.«
»Wie unangenehm.«
»Ich habe nicht einmal meine Sachen gepackt«, fuhr Ragle fort. »Ohne Ziel, einfach nur weg. Dann fiel mir der Freund ein, und ich dachte, ich könnte vielleicht eine Weile bei ihm bleiben, bis ich wieder zu mir komme. Habe ihn seit Jahren nicht gesehen. Er ist wahrscheinlich längst weggezogen. Scheußlich, wenn eine Ehe in die Brüche geht. Wie das Ende der Welt.«
»Ja«, sagte Mrs. Kesselman.
»Könnte ich vielleicht heute nacht hierbleiben?« fragte Ragle.
Sie sahen einander an. Verlegen wollten sie beide gleichzeitig antworten. Gemeint war ein Nein.
»Irgendwo muß ich bleiben«, sagte Ragle. Er griff in seine Jackentasche und suchte nach seiner Brieftasche. Er zog sie heraus und zählte sein Geld. »Ich habe über zweihundert Dollar bei mir«, sagte er. »Ich kann bezahlen für die Mühe, die ich Ihnen mache. Geld für Mühe.«
»Wenn Sie uns Gelegenheit geben, daß wir miteinander sprechen«, sagte Mrs. Kesselman. Sie stand auf und winkte ihrem Sohn. Die beiden verschwanden in einem anderen Raum, die Tür klappte hinter ihnen zu.
Ich muß hierbleiben, dachte Ragle. Er goß sich noch einmal Whisky ein und ging zum Kamin, um sich zu wärmen.
Der Kombi, dachte er. Mit seinem Radio. Er muß zu ihnen gehört haben; sonst wäre er nicht mit einem Radio ausgerüstet gewesen. Der Junge in der Standard-Tankstelle ... er trat für sie auf. Ein Beweis, sagte Ragle zu sich selbst. Das Radio ist der Beweis. Ich bilde mir das nicht ein. Es ist Tatsache.
An ihren Werken sollt ihr sie erkennen, dachte er. Und zu ihren Werken gehörte, daß sie sich über Funk verständigten.
Die Tür ging auf. Mrs. Kesselman und ihr Sohn kamen zurück.
»Wir haben die Sache besprochen«, sagte sie und setzte sich auf das Sofa. Ihr Sohn blieb mit ernster Miene neben ihr stehen. »Es ist uns klar, daß Sie in Not sind. Wir erlauben, daß Sie bleiben, weil Sie sich offensichtlich in einer peinlichen Lage befinden. Aber wir möchten, daß Sie aufrichtig zu uns sind, und das waren Sie nach unserem Gefühl nicht. Hinter der Sache steckt mehr, als Sie uns bis jetzt erzählt haben.«
»Sie haben recht«, sagte Ragle.
Die Kesselmans tauschten einen Blick.
»Ich bin durch die Gegend gefahren und wollte Selbstmord begehen«, sagte Ragle. »Ich wollte bei hoher Geschwindigkeit von der Straße rasen, in einen Graben. Aber ich verlor den Mut dazu.«
Die Kesselmans starrten ihn entsetzt an.
»O nein«, sagte Mrs. Kesselman. Sie stand auf und ging auf ihn zu. »Mr. Gumm ...«
»Ich heiße nicht Gumm«, sagte Ragle, aber offenkundig hatten sie ihn erkannt. Von Anfang an.
Jedermann im Universum kennt mich. Ich sollte mich nicht wundern. Ich wundere mich auch gar nicht.
»Ich wußte, wer Sie sind«, sagte Mrs. Kesselman, »aber ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen, wenn Sie es uns nicht sagen wollten.«
»Wer ist Mr. Gumm, wenn ich fragen darf?« sagte Garret. »Ich sollte es wahrscheinlich wissen, aber ich weiß es
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