Zeitlose Zeit
sich auf einem Stuhl nieder, schlug die Beine übereinander, lehnte sich zurück, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und versuchte gelassen zu erscheinen.
»Wissen Sie, was ich jeden Tag in Wirklichkeit mache?« sagte Ragle. »Wenn ich angeblich errechne, wo der kleine grüne Mann als nächstes auftauchen wird? Ich muß etwas anderes tun. Sie wissen es, aber ich nicht.«
Die Kesselmans schwiegen.
»Haben Sie angerufen?« fragte Ragle.
Garret bebte vor Verlegenheit. Mrs. Kesselman wirkte betroffen, kümmerte sich aber weiter um den Hund.
»Kann ich mich im Haus umsehen?« fragte Ragle.
»Gewiß«, erwiderte Mrs. Kesselman und richtete sich auf. »Hören Sie, Mr. Gumm. Wir tun, was wir können, um es Ihnen angenehm zu machen. Aber ...« Mit einer heftigen Geste stieß sie hervor: »Im Ernst, Sie haben uns beide so verstört, daß wir kaum noch wissen, was wir tun. Wir haben Sie nie zuvor gesehen. Sind Sie verrückt – ist es das? Vielleicht sind Sie es. Sie benehmen sich jedenfalls so. Es wäre mir jetzt lieber, wenn Sie nicht gekommen wären. Ich möchte ...« Sie zögerte. »Nun, ich wollte sagen, ich möchte, daß Sie mit Ihrem Wagen von der Straße abgekommen wären. Es ist nicht fair, uns so viel Ärger zu machen.«
»Richtig«, murmelte Garret.
Mache ich einen Fehler? fragte sich Ragle.
»Erklären Sie das Radio«, sagte er.
»Es gibt nichts zu erklären«, sagte Mrs. Kesselman. »Das ist ein ganz gewöhnliches Fünf-Röhren-Gerät, das wir bald nach dem Zweiten Weltkrieg gekauft haben. Es steht seit Jahren da unten. Ich weiß nicht einmal, ob es geht.« Sie schien jetzt zornig zu sein. Ihre Hände zitterten, und ihr Gesicht war verzerrt, angespannt vor Erschöpfung. »Jeder hat ein Radio. Zwei oder drei sogar.«
Ragle öffnete alle Türen, die vom Eßzimmer hinausführten. Hinter einer davon befand sich eine Abstellkammer mit Regalen und Kästen.
»Ich möchte mich im Haus umsehen«, sagte er. »Gehen Sie da hinein, damit ich mir nicht überlegen muß, was Sie treiben, während ich mich umsehe.« Im Schlüsselloch steckte ein Schlüssel.
»Bitte«, begann Mrs. Kesselman, funkelte ihn an und vermochte kaum zu sprechen.
»Nur für ein paar Minuten«, sagte er.
Die beiden sahen einander an, dann zuckte Mrs. Kesselman resigniert die Achseln, und sie traten wortlos in die Kammer. Ragle schloß die Tür und sperrte ab. Den Schlüssel steckte er in die Tasche.
Nun fühlte er sich wohler.
Der schwarze Hund beobachtete ihn aufmerksam. Warum tut er das? fragte er sich. Dann fiel ihm auf, daß der Hund die Schüssel geleert hatte und auf mehr wartete. Die Dose stand auf dem Eßtisch; er zerbröckelte Hundekuchen und warf ihn in die Schüssel, und der Hund begann wieder zu fressen.
Aus der Kammer war Garrets Stimme deutlich zu hören: »... abfinden – er ist ein Verrückter.«
»Ich bin kein Verrückter«, sagte Ragle. »Ich habe diese Sache Schritt für Schritt wachsen sehen. Das heißt, ich habe sie Schritt für Schritt wahrnehmen können.«
Durch die Kammertür sagte Mrs. Kesselman zu ihm: »Hören Sie, Mr. Gumm. Es ist uns klar, daß Sie glauben, was Sie sagen. Aber sehen Sie denn nicht, was Sie tun? Weil Sie glauben, daß alle gegen Sie seien, zwingen Sie alle, gegen Sie zu sein.«
»Wie uns«, sagte Garret.
Was sie sagten, hatte viel für sich. Ragle sagte unsicher: »Ich kann kein Risiko eingehen.«
»Bei irgend jemand werden Sie es eingehen müssen«, erwiderte Mrs. Kesselman. »Sonst können Sie nicht leben.«
»Ich durchsuche das Haus, dann entscheide ich mich«, sagte Ragle.
»Rufen Sie wenigstens Ihre Familie an und sagen Sie ihr, daß Ihnen nichts passiert ist«, fuhr die Stimme der Frau beherrscht und zivilisiert fort. »Damit man sich keine Sorgen um Sie macht. Wahrscheinlich sind sie ganz durcheinander.«
»Sie sollten uns erlauben, sie anzurufen«, sagte Garret. »Damit sie nicht die Polizei verständigen oder sonst irgend etwas tun.«
Ragle verließ das Eßzimmer. Zuerst sah er sich das Wohnzimmer an. Nichts schien aus dem Rahmen zu fallen. Was glaubte erfinden zu können? Das alte Problem ... er würde es nicht wissen, bis er es fand. Und vielleicht konnte er selbst dann nicht sicher sein.
An der Wand, hinter einem kleinen Spinett, hing ein Telefon, ein rosaroter Plastikapparat mit Spiralkabel. Und im Bücherregal stand das Telefonbuch. Er zog es heraus.
Es war das gleiche Telefonbuch wie jenes, das Sammy in den Ruinen gefunden hatte. Er schlug es auf. Auf der ersten, leeren Seite waren mit
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