Zeitoun (German Edition)
Kuwait, um neue Ladung aufzunehmen. Es war das Jahr 1987, und Iran und Irak steckten mitten in ihrem langen lähmenden Krieg. Die meisten Raffinerien der beiden Länder waren bei den Kämpfen zerstört worden, sodass sie auf importiertes Öl angewiesen waren und regelmäßig versuchten, Schiffe zu blockieren oder zu beschädigen, die ihrem Feind Öl durch die Straße von Hormuz brachten. Zeitoun und seine Schiffskameraden wussten, dass sie im Golf von Oman, den sie auf dem Weg in den Persischen Golf durchqueren mussten, Gefahr liefen, den Zorn irakischer oder iranischer U-Boote und Kriegsschiffe auf sich zu ziehen. Die Seeleute erhielten einen Risikoaufschlag auf ihren Lohn.
Zeitouns Koje lag über den Treibstofftanks, und eines frühen Morgens wurde er von einer Explosion irgendwo unter ihm aus dem Schlaf gerissen. Er wusste nicht, ob es einer der Tanks war oder ob das Schiff mit irgendetwas kollidiert war. Rasch machte er sich klar, dass er tot wäre, wenn ein Tank explodiert wäre, dass sie also irgendetwas getroffen haben oder von etwas getroffen worden sein mussten. Er eilte gerade zur Brücke, um nachzusehen, was los war, als eine zweite Explosion das Schiff erschütterte.
Sie waren zweimal von iranischen Torpedos getroffen worden. Zusammen hatten die beiden Geschosse ein Loch gerissen, durch das ein kleines Motorboot gepasst hätte. Aber es war klar, dass die Iraner den Tanker nicht versenken wollten. Wenn das ihre Absicht gewesen wäre, hätten sie leichtes Spiel gehabt. Der Angriff sollte nur eine Warnung sein und das Schiff beschädigen.
Sie schafften es bis nach Addan, wo sie einen Monat im Dock lagen, bis der Schiffsrumpf repariert war. Während der Wartezeit kam Zeitoun zu dem Schluss, dass sein Vater Mahmoud vielleicht recht gehabt hatte. Es war Zeit, sich irgendwo niederzulassen, Zeit, eine Familie zu gründen, sicher und beständig zu leben, an Land. Wenige Monate später ging er in Houston von Bord der Andromeda und machte sich auf die Suche nach Kathy.
DIENSTAG , 13. SEPTEMBER
Zeitoun und Nasser sprachen nicht über die Möglichkeit, dass sie dieses Gefängnis erst in Monaten oder Jahren verlassen könnten. Aber sie dachten beide daran – dass niemand wusste, wo sie waren, was den Behörden oder wer auch immer für ihre Unterbringung hier verantwortlich war, vollkommen freie Hand gab, sie auf unbestimmte Zeit und ohne Kontakt zur Außenwelt gefangen zu halten.
Für Zeitoun zeichnete sich bislang nicht der geringste Ausweg aus seiner Misere ab. Er hatte noch immer niemanden anrufen dürfen und glaubte auch nicht mehr daran, dass es jemals dazu kommen würde. Er hatte keinerlei Kontakt mit irgendjemandem von draußen gehabt. Er hatte mit der Krankenschwester gesprochen, aber die war Gefängnisangestellte. Ihr seine Unschuld zu beteuern war sinnlos, da sie wahrscheinlich den ganzen Tag lang Unschuldsbeteuerungen zu hören bekam. Er machte sich nichts vor: Er saß in einem Hochsicherheitsgefängnis, und das allein war vermutlich in den Köpfen aller, die hier arbeiteten, schon Beweis genug für seine Schuld. Die Wärter waren daran gewöhnt, Menschen zu bewachen, die in ordentlichen Gerichtsverfahren verurteilt worden waren.
Hinzu kam, dass das Gefängnis völlig von der Außenwelt abgeschnitten war, es keinerlei öffentliche Aufsicht gab und keine Zivilisten, die Zugang hatten, um die Haftbedingungen zu überprüfen. Er hatte den Zellenblock noch kein einziges Mal und die Zelle nur zum Duschen verlassen dürfen; die Dusche selbst war vergittert. Wenn sie ihm seit sieben Tagen einen Telefonanruf verweigerten, wieso sollte sich daran in Zukunft irgendetwas ändern?
Er hatte nur eine einzige Hoffnung: Wenn er jedem Häftling, dem er begegnete, sagte, wie er hieß und dass er unschuldig war, würde sich vielleicht einer von ihnen, sollte er irgendwann freigelassen werden, nicht nur an seinen Namen erinnern, sondern sogar Kathy anrufen oder irgendwem erzählen, wo er war. Doch auch hier stellte sich die Frage, wer von ihnen glauben würde, dass er einer derjenigen war, die tatsächlich unschuldig im Gefängnis saßen. Wie viele andere Namen hatten sie gehört, wie viele Versprechungen gemacht?
Als er festgenommen wurde, war Zeitoun zunächst nicht unbedingt davon ausgegangen, dass seine Herkunft etwas damit zu tun hatte. Schließlich waren zwei der vier Männer in seiner Gruppe weiße Amerikaner, die gebürtig aus New Orleans stammten. Aber als sie dann nach Camp Greyhound gebracht wurden, nahm
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