Zeitoun (German Edition)
Gefängnismitarbeiter, vielleicht einen Besucher. Er hatte keine Ahnung, wie dieses Gefängnis funktionierte, wie irgendein Gefängnis funktionierte. Aber er hatte Filme gesehen, in denen Anwälte durch die Zellenblöcke gingen, in denen Besucher zugelassen waren. So jemanden musste er finden. Irgendeine Person, die von außen kam – jemand, der ihm eine kleine Gnade erwies.
Die Männer in der Zelle erzählten einander, wie sie in Hunt gelandet waren. Alle waren nach dem Sturm in New Orleans aufgegriffen worden. Sie befanden sich in einem Gefängnisflügel, in dem ausschließlich Katrina-Häftlinge untergebracht waren. »Wir sind alle FEMA-Leute«, sagte einer. Zwei Männer waren festgenommen worden, als sie gerade Möbel schleppten, in einer ähnlichen Situation wie Zeitoun.
Einer war ein Müllmann aus Houston. Seine Firma hatte kurz nach dem Sturm den Auftrag bekommen, Mitarbeiter nach New Orleans zu schicken und mit den Aufräumarbeiten zu beginnen. Eines Morgens war er gerade auf dem Weg vom Hotel zu seinem Lastwagen gewesen, als ein Pick-up der Nationalgarde neben ihm hielt. Er wurde vom Fleck weg festgenommen, in Handschellen gelegt und nach Camp Greyhound gebracht.
Er war das erste Mal hinter Gittern, und von allen Gefangenen, die »im Katrina-Knast saßen«, wie sie es inzwischen nannten, konnte er am wenigsten fassen, was ihm widerfahren war. Schließlich war er auf Anweisung seiner Firma nach New Orleans gekommen. Normalerweise arbeitete er bei der Müllabfuhr in Houston, doch nach dem Hurrikan hatte sein Chef Freiwillige für einen Einsatz in New Orleans gesucht. Der Mann hatte sich gemeldet, weil er dachte, es wäre interessant mitzuerleben, was aus der Stadt geworden war, und weil er bei den Aufräumarbeiten helfen wollte. Er hatte Arbeitskleidung getragen, Ausweispapiere und die Schlüssel zu seinem Lastwagen dabeigehabt. Aber es hatte nichts geholfen. Er wurde der Plünderei bezichtigt und in die Käfige hinter dem Bahnhof gesteckt.
Ein anderer Zellengenosse sagte, er sei Feuerwehrmann in New Orleans. Er war nach dem Sturm geblieben, weil man ihn darum gebeten hatte. Er war in seinem Garten, als er von einem vorbeikommenden Militärfahrzeug aufgegriffen wurde. Man bezichtigte ihn, ein Plünderer zu sein, und brachte ihn nach Camp Greyhound.
Zeitoun erfuhr, dass ein Großteil derer, die schließlich in Camp Greyhound landeten, auf mehr oder weniger herkömmliche Weise angeklagt worden waren. Die meisten waren am Morgen nach ihrer Festnahme in den Bahnhof gebracht worden, wo in einem Büro im ersten Stock ein provisorisches Gericht mit einem Richter und mindestens einem Anwalt eingerichtet worden war. Die Festgenommenen erfuhren, was ihnen zur Last gelegt wurde, und den meisten wurde ein Handel vorgeschlagen: Wenn sie die Anklage nicht anfochten, würden sie nur wegen eines Bagatelldelikts schuldig gesprochen und zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt werden, zu der sie unverzüglich antreten müssten. Einige derer, die sich auf dieses Angebot einließen und somit einen unauslöschlichen dunklen Fleck auf ihrer weißen Weste akzeptierten, wurden umgehend zum Polizeipräsidium in der Innenstadt gebracht, wo sie die beschädigten Büroräume zu reparieren und zu streichen hatten.
Der stechende Schmerz in seiner Seite, den Zeitoun erstmals in Camp Greyhound gespürt hatte, war mittlerweile um ein Zehnfaches stärker geworden. Es fühlte sich an, als würde ihm eine lange Schraube langsam in die Niere gedreht. Er konnte kaum noch sitzen, stehen oder liegen. Er neigte sonst nicht dazu, dergleichen allzu wichtig zu nehmen. Im Laufe der Jahre hatte er sich öfter mal verletzt, war aber kaum je zum Arzt gegangen. Das hier jedoch fühlte sich anders an. Er dachte an Infektionen, an die vielen Krankheiten, von denen Kathy gesprochen hatte, als sie ihn dazu bewegen wollte, die Stadt zu verlassen. Er brauchte Hilfe.
Einmal am Tag schob eine Krankenschwester einen Rollwagen mit Medikamenten durch den Zellenblock und verteilte Tabletten an die Gefangenen.
Zeitoun sprach sie an, als sie vorbeikam. Er berichtete ihr von dem Schmerz.
»Haben Sie etwas dagegen verschrieben bekommen?«, fragte sie.
Er sagte, nein, der Schmerz sei neu.
»Dann müssen Sie zum Arzt«, sagte sie.
Er fragte, wie er das machen konnte.
Sie erklärte, er müsse ein Formular ausfüllen und den Schmerz beschreiben. Der Arzt würde sich das Formular ansehen und dann entscheiden, ob Zeitoun behandelt werden musste. Die Krankenschwester gab
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