Zeitoun (German Edition)
beheben. Er wusste, dass die Flut da war.
Er rief Kathy an.
»Das Wasser kommt«, sagte er.
»Was? Nein, nein«, sagte sie. »Sind die Deiche gebrochen?«
»Ich glaube ja.«
»Das darf nicht wahr sein.«
Er hörte, dass sie ein Schluchzen unterdrückte.
»Ich muss Schluss machen«, sagte er.
Er legte auf und machte sich an die Arbeit.
Rauf, dachte er. Alles rauf. Es musste alles in den ersten Stock geschafft werden. Er erinnerte sich an die schlimmsten Voraussagen vor dem Sturm: Falls die Deiche brachen, wäre mancherorts mit Wasserständen von drei bis viereinhalb Metern zu rechnen. Er machte sich methodisch ans Werk. Alles von Wert musste nach oben gebracht werden. Auch diese Arbeit war einfach nur Arbeit, und er erledigte sie ruhig und zügig.
Er schleppte den Fernseher, den DVD-Player, die Stereoanlage, alle Elektrogeräte die Treppe hinauf. Als Nächstes sammelte er alle Kinderspiele und Bücher und Lexika ein und trug sie nach oben.
In dem Haus in Baton Rouge war die Lage angespannt. Angesichts des stürmischen und grauen Wetters und der vielen Personen, die sich ein kleines Haus teilen mussten, kochten die Gemüter über. Kathy hielt es für das Beste, sich mit den Kindern rarzumachen. Sie räumten ihre Schlafsäcke und Kissen weg und fuhren mit dem Odyssey los. Sie wollten den Tag über herumfahren, in Einkaufszentren oder Restaurants gehen – was auch immer ihnen einfiel, um die Zeit totzuschlagen. Sie würden spät zurückkommen, nach dem Abendessen, nur zum Schlafen. Kathy betete, dass sie am nächsten Tag nach New Orleans zurückkehren könnten.
Kathy rief Zeitoun von unterwegs an.
»Meine Schmuckschatulle!«, sagte sie.
Er fand sie und auch das gute Porzellan und trug alles nach oben. Er leerte den Kühlschrank; die Tiefkühltruhe ließ er voll. Er stellte die Stühle auf den Esstisch. Eine Truhe, die so schwer war, dass er sie nicht tragen konnte, wuchtete er auf eine Matratze und schleifte sie die Treppe hoch. Er stellte eine Couch auf die andere, opferte eine, um die andere zu retten. Dann holte er noch mehr Bücher. Er rettete alle Bücher.
Kathy rief wieder an. »Ich hatte dir gesagt, du sollst die Sachversicherung nicht kündigen«, sagte sie.
Das stimmte. Nur drei Wochen zuvor hatte er beschlossen, den Teil ihrer Hochwasserversicherung nicht zu erneuern, der die Möbel, das gesamte Inventar abdeckte. Er hatte Geld sparen wollen. Er gab zu, dass sie recht gehabt hatte, und wusste, dass sie ihm das noch jahrelang vorhalten würde.
»Können wir später darüber reden?«, fragte er.
Zeitoun ging nach draußen. Die Luft war feucht und unruhig. Er band das Kanu an der hinteren Veranda fest. Das Wasser gurgelte durch die Ritzen im Zaun, stieg höher. Es floss mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit in den Garten. Während er dastand, umspülte es seine Knöchel und kroch ihm die Waden hoch.
Zurück im Haus, machte er sich erneut daran, Wertgegenstände nach oben zu schaffen. Er konnte förmlich zusehen, wie das Wasser den Boden nach und nach bedeckte und die Wände hochstieg. Nach einer weiteren Stunde hatte der Wasserstand drinnen fast einen Meter erreicht. Und sein Haus stand einen Meter über Straßenniveau.
Aber das Wasser war sauber. Es war durchscheinend, beinahe grün. Er sah zu, wie es sein Esszimmer füllte, und einen Moment lang war er überwältigt von dem schönen Anblick. Es erinnerte ihn vage an einen Sturm auf Arwad, als er noch ein kleiner Junge war und das Mittelmeer anstieg und die tiefer gelegenen Häuser verschlang, das blaugrüne Meerwasser in Wohnzimmern und Schlafzimmern und Küchen. Das Wasser durchbrach und umströmte die phönizischen Steine rund um die Insel mit spielerischer Leichtigkeit.
Plötzlich hatte Zeitoun eine Idee. Er wusste, dass die Fische in seinem Aquarium ohne Filtersystem und Futter nicht überleben konnten, also griff er hinein und holte sie heraus. Er ließ sie in das Wasser gleiten, das das Haus füllte. So hatten sie die besten Chancen. Sie schwammen davon.
Mit dem Handy telefonierte er den ganzen Tag über immer wieder mit Kathy. Sie gingen durch, was nicht gerettet werden konnte, die Möbel, die zu groß und schwer waren, um sie allein nach oben zu tragen, Kommoden und Schränke. Soweit er konnte, nahm er die Schubladen heraus, trug alles, was beweglich und leicht genug war, in den ersten Stock.
Das Wasser verschlang die Schränke und Fenster. Zeitoun sah bestürzt zu, wie es höher und höher stieg – den Sicherungskasten
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