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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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erreichte, die Telefonverteilerbox. Er würde wochenlang keinen Strom und kein Festnetz mehr haben.
    Bei Anbruch der Dunkelheit stand die ganze Gegend gut zweieinhalb Meter unter Wasser, und Zeitoun konnte nicht mehr nach unten gehen. Er war erschöpft; er hatte alles getan, was er tun konnte. Er legte sich auf Nademahs Bett im ersten Stock und rief Kathy an. Sie fuhr mit den Kindern herum, und ihr graute davor, in das Haus in Baton Rouge zurückzukehren.
    »Ich hab alles geborgen, was ich konnte«, sagte er.
    »Ich bin froh, dass du da warst«, sagte sie, und sie meinte es ernst. Wenn er nicht zu Hause gewesen wäre, hätten sie alles verloren.
    Sie sprachen darüber, was aus dem Haus werden würde, aus der Stadt. Sie wussten, das Haus würde grundsaniert werden müssen, alle Leitungen und Kabel erneuert, Putz und Gipskartonplatten und Farbe und Tapeten. Alles, bis zur letzten Strebe, war ruiniert. Und wenn das Wasser schon bei ihnen so hoch stand, dann musste die Lage in anderen Stadtteilen noch schlimmer sein. Zeitoun dachte an die Häuser unweit des Sees und in der Nähe der Deiche. Die hatten keine Chance.
    Während des Gesprächs merkte Zeitoun, dass der Akku seines Handy schwächer wurde. Sie wussten beide, solange es keinen Strom gab, hätte er keine verlässliche Möglichkeit mehr zu telefonieren, sobald der Akku leer war.
    »Ich mach besser Schluss«, sagte er.
    »Bitte verlass die Stadt«, sagte sie. »Morgen.«
    »Nein, nein«, sagte er, doch im selben Moment dachte er darüber nach. Er hatte nicht damit gerechnet, so lange im Haus eingesperrt zu sein. Er wusste, er hatte genug Essen für eine Woche oder länger, aber jetzt würde die Situation doch belastender, als er erwartet hatte.
    »Grüß die Kinder von mir«, sagte er.
    Sie sagte, das würde sie.
    Er machte sein Handy aus, um den Akku zu schonen.
    Kathy fuhr noch immer ziellos durch die Gegend. Ihr fiel nichts mehr ein, womit sie sich noch ablenken konnten, und sie wollte schon zurück zum Haus ihres Bruders, als ihr Telefon erneut klingelte. Es war Adnan. Er war mit seiner Frau Abeer in Baton Rouge, sagte er, und sie hatten keine Unterkunft.
    »Wo habt ihr denn die letzte Nacht verbracht?«, fragte Kathy.
    »Im Auto«, sagte er kleinlaut und verschämt.
    »Oh Gott«, sagte sie. »Ich will sehen, was ich machen kann.«
    Sie wollte Mary Ann und Patty fragen, sobald sie wieder im Haus war. Es würde eng werden, aber eine Schwangere sollte auf keinen Fall in einem Auto schlafen müssen, wenn im Haus ihrer Familie noch Platz war.
    Als Kathy vor Andys Haus hielt, war es zehn Uhr abends, und die Fenster waren dunkel. Bis auf Nademah waren alle Kinder im Wagen eingeschlafen. Sie weckte sie und ging leise zur Tür. Als die Kinder in ihren Schlafsäcken lagen, tauchte Mary Ann auf und stellte Kathy zur Rede.
    »Wo warst du den ganzen Tag?«
    »Unterwegs«, sagte Kathy. »Ich wollte nicht im Weg sein.«
    »Weißt du eigentlich, wie teuer Benzin ist?«, fragte Mary Ann.
    »Wie bitte?«, sagte Kathy. »Du musst mein Benzin ja wohl nicht bezahlen.«
    Kathy war entnervt, niedergeschlagen. Im Haus hatte sie das Gefühl, zur Last zu fallen, und jetzt machte man ihr Vorwürfe, weil sie einen Tag fort gewesen war. Sie nahm sich vor, erst mal die Nacht zu überstehen und sich am nächsten Tag etwas Neues zu überlegen. Vielleicht sollte sie nach Phoenix fahren und bei Yuko unterkommen. Eigentlich war es lächerlich, fünfzehnhundert Meilen zu fahren, wenn ihre Blutsverwandten gerade mal fünfzig Meilen von New Orleans entfernt wohnten, aber sie hatte sich auch früher schon zu Yuko geflüchtet und könnte es wieder tun.
    Die Stimmung war schon angespannt genug, doch Adnan und Abeer zuliebe musste Kathy die Frage stellen. Immerhin kannte Mary Ann sie; sie war den beiden schon öfter begegnet. Konnten sie nicht für eine Nacht im Haus schlafen?
    »Kommt nicht infrage«, sagte Mary Ann.
    Im dunklen ersten Stock hatte Zeitoun sich eine Taschenlampe zwischen die Zähne geklemmt und sah den Berg Sachen durch, die er gerettet hatte. Soweit möglich, räumte er die Bücher in Regale. Zeugnisse und Fotos packte er in Kartons. Er entdeckte Bilder von den Kindern, als sie noch klein waren, Bilder von einem Urlaub, den sie alle in Spanien gemacht hatten, Bilder von ihrer Reise nach Syrien. Er sortierte sie, holte eine Plastiktüte, packte sie sicher ein und verstaute das Päckchen wieder im Karton.
    In einem anderen älteren Karton fiel ihm ein weiteres Foto in die Hände,

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