Zeitoun (German Edition)
und Beulah ab, hob die beiden nacheinander in das Motorboot. Dann brauste er davon zur Sammelstelle an der Kreuzung Napoleon und St. Charles.
Das Ganze dauerte gerade mal zwanzig Minuten. Dann war Todd wieder da, trank ein Bier und entspannte sich auf der Veranda, während seine Hand das verfilzte Fell des geretteten Hundes streichelte.
»Um manche Dinge muss man sich einfach selbst kümmern«, sagte er mit einem Schmunzeln.
Zeitoun hatte gewusst, dass Todd ein guter Mieter war, aber diese Seite an ihm war ihm neu. Sie unterhielten sich eine Weile auf der Veranda, und Todd erzählte ihm Geschichten von seinen Rettungsaktionen – wie er Dutzende Leute abgeholt und zu Krankenhäusern und Sammelstellen gebracht hatte, wie leicht das mit einem Motorboot war. Zeitoun hatte in Todd immer einen kleinen Schwerenöter gesehen, einen kleinen Playboy. Er hatte gern Spaß, wollte sich nicht zu sehr von Regeln und Verantwortungen einschränken lassen. Er rauchte, er trank, er arbeitete unregelmäßig. Aber jetzt saß er da, mit leuchtenden Augen, und sprach davon, wie er Leute in Sicherheit gebracht hatte, wie seine Ankunft an diesem Haus oder jener Überführung mit Jubel und Dankbarkeit begrüßt worden war. Eine Zeit wie diese konnte einen Menschen verändern, dachte Zeitoun, und er freute sich, dass genau das hier und jetzt mit Todd geschah: ein guter Mensch, der noch besser wurde.
Am Abend kam Nasser mit Zeitoun in das Haus auf der Dart Street. Sie holten das letzte Lammfleisch aus der Tiefkühlung und grillten es auf dem Dach, erzählten sich dabei, was sie gesehen und gehört hatten. Aber Nasser war abgekämpft und wurde rasch müde. Er kroch ins Zelt und war bald fest eingeschlafen.
Wieder war Zeitoun ruhelos. Er war noch immer wütend wegen der Geschichte mit dem Pastor und seiner Frau. Nichts brachte ihn mehr auf als gebrochene Versprechen. Wer war der Mann an der Kreuzung Napoleon und St. Charles gewesen, der gesagt hatte, er würde Leute losschicken, um dem Ehepaar Williams zu helfen? Wieso hatte er behauptet, er würde sich um sie kümmern, wenn er das gar nicht vorhatte? Zeitoun versuchte, wohlwollend zu sein. Vielleicht war er zu einem anderen Notfall gerufen worden. Vielleicht hatte er den Weg zu den Williams’ nicht gefunden. Aber es nützte nichts. Es gab keine zufriedenstellende Erklärung. Der Mann hatte gegen eine einfache Abmachung verstoßen. Er hatte Hilfe versprochen und dieses Versprechen nicht gehalten.
Unfähig zu schlafen, ging Zeitoun ins Haus und setzte sich in Nademahs Zimmer auf den Boden. Ihr Duft, der Duft seiner Töchter war jetzt schwach, überdeckt von Regen und den ersten Anzeichen von Schimmel. Sie fehlten ihm jetzt schon. Er konnte sich nur an ganz wenige Situationen erinnern, in denen er so lange von ihnen getrennt gewesen war. Es war immer das Gleiche: Der erste Tag allein brachte ein willkommenes Gefühl von Ruhe und Frieden mit sich, doch dann setzte allmählich die Sehnsucht ein. Er sehnte sich nach ihren Stimmen, ihren strahlenden dunklen Augen, ihren polternden Schritten auf der Treppe, ihrem Gelächter und ihrem unentwegten Singen.
Er öffnete eines der Fotoalben, die er gerettet hatte, und legte sich auf Nademahs Bett, sog den Duft ihres Erdbeershampoos auf dem Kissenbezug ein. Er stieß auf ein Foto aus seinem ersten Jahr auf See, an Bord eines Schiffes, dessen Kapitän Ahmad war. Er staunte, wie viele Haare er damals noch gehabt hatte, über seine Eitelkeit. Er war damals knapp dreißig Pfund leichter, hatte ein ständiges Grinsen im Gesicht, ein Mann, der das Fest der Jugend voll auskostete. Sein Bruder Ahmad hatte ihn gerettet, ihm Welten über Welten eröffnet.
Ahmad ging ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters in die Türkei, um Medizin zu studieren. Das nahm die Familie wenigstens an. Doch obwohl Mahmoud seinen Söhnen verboten hatte, ihren Lebensunterhalt auf dem Meer zu verdienen, war das Ahmads sehnlichster Wunsch. Er fuhr also nach Istanbul, nachdem er seiner Mutter erzählt hatte, er habe vor, Arzt zu werden. Und eine Zeit lang studierte er tatsächlich Medizin. Doch schon bald verließ Ahmad die Uni und schrieb sich an einer Marineakademie ein. Als seine Mutter erfuhr, dass Ahmad Schiffskapitän werden wollte, war sie überrascht, stellte sich ihm aber nicht in den Weg. Zwei Jahre später hatte Ahmad seinen Abschluss in der Tasche und befuhr das Mittelmeer und das Schwarze Meer.
Zeitoun entdeckte ein weiteres Foto von Ahmad. Er hatte mehr Bilder von Ahmad als
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