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Zeitoun (German Edition)

Zeitoun (German Edition)

Titel: Zeitoun (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dave Eggers
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Claiborne Ave. 70125-4941, New Orleans.
Sein letzter Anruf war am 6. Sept. um 14:30 Ortszeit, danach bis jetzt keine Anrufe, keine Nachricht. Wenn man das Telefon anruft, das er benutzt hat, geht der Ruf durch, aber es meldet sich niemand. Ich füge Bilder von ihm bei, die vielleicht hilfreich sind.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen
Ahmad Zeton
    Am Nachmittag kamen Anrufe von Zeitouns Familie in Syrien. Die Erste war Fahzia. Als Gymnasiallehrerin in Dschabla sprach sie fließend Englisch.
    »Habt ihr was von Abdulrahman gehört?«
    Kathy erwiderte, dass er sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet hatte.
    Langes Schweigen am anderen Ende.
    »Ihr habt nichts von Abdulrahman gehört?«
    Kathy erklärte, dass die Telefonleitungen unterbrochen waren, dass ihr Mann höchstwahrscheinlich nur nach einem anderen noch funktionierenden Telefon suchte. Das gefiel Fahzia gar nicht.
    »Noch mal, bitte – ihr habt nichts von Abdulrahman gehört?«
    Kathy liebte ihre syrischen Verwandten, aber diese zusätzliche Belastung konnte sie nicht gebrauchen. Sie entschuldigte sich und legte auf.
    Kathy versuchte gar nicht erst, sich zum Abendessen hinzusetzen. Sie wanderte durch die Zimmer, das Telefon wie festgewachsen in der Hand. Sie ging ihre Möglichkeiten durch – wen sie kannte und was diese Leute tun könnten, um zu helfen. Ihr wurde klar, dass sie keine Menschenseele kannte, die noch in der Stadt war. Es war lähmend. Es kam ihr unglaublich vor, dass im Jahr 2005 in den Vereinigten Staaten von Amerika eine ganze Großstadt völlig von der Außenwelt abgeschnitten sein sollte.
    Später, als sie dachte, die Kinder schliefen schon, kam sie an einem der Schlafzimmer vorbei und hörte, wie Aisha mit einem von Yukos Kindern sprach.
    »Unser Haus steht drei Meter unter Wasser«, sagte Aisha.
    Kathy hielt vor der Tür den Atem an.
    »Und wir können meinen Dad nicht finden.«
    Im Bad drückte Kathy das Gesicht in ein Handtuch und brach in Tränen aus. Ihr Körper bebte und zuckte, aber sie versuchte, keinen Laut von sich zu geben.
    FREITAG , 9. SEPTEMBER
    Kathy blieb nichts anderes übrig, als zu lügen. Sie hatte ihre Kinder noch nie unverfroren angelogen, aber jetzt erschien ihr das notwendig, weil sie sonst alle die Nerven verlieren würden. Sie hatte vor, die Kinder am Montag in der Schule anzumelden, und um diese völlig neue Situation meistern zu können, mussten sie glauben, dass ihr Vater gesund war und angerufen hatte. Daher zögerte Kathy nicht, als Aisha beim Frühstück fragte, ob sie etwas von Dad gehört hatte.
    »Ja, letzte Nacht«, sagte sie.
    »Auf welchem Telefon?«, fragte Nademah. Sie hatten kein Klingeln gehört.
    »Yukos«, sagte Kathy. »Ich bin gleich beim ersten Klingeln rangegangen.«
    »Und? Ist er zu Hause?«, fragte Nademah.
    Kathy nickte. Und so gescheit und skeptisch ihre Kinder auch waren, sie glaubten ihr. Vor allem Nademah und Zachary. Auch wenn sie die Lüge vielleicht witterten, sie wollten ihr glauben. Safiya und Aisha waren schwieriger einzuschätzen, aber fürs Erste waren die Ängste ihrer Kinder beschwichtigt, und Kathy musste nur noch mit ihren eigenen fertig werden.
    Kurz nach dem Frühstück klingelte das Telefon. Kathy sprang sofort hin.
    Es war Aisha, eine weitere Schwester Zeitouns. Sie leitete eine Grundschule in Dschabla und sprach ebenfalls Englisch.
    »Wo ist Abdulrahman?«, fragte sie.
    »In New Orleans«, antwortete Kathy ruhig.
    Aisha erklärte, dass seit Tagen niemand mehr etwas von ihm gehört hatte. Nach dem Sturm hatte er sich ein paarmal gemeldet und dann nichts mehr. Sie rief im Namen aller Geschwister an, und sie war besorgt.
    »Es geht ihm gut«, sagte Kathy.
    »Woher weißt du das?«, fragte Aisha.
    Kathy hatte darauf keine Antwort.
    Kathy ging ins Internet. Sofort sprangen ihr grässliche Neuigkeiten aus der Stadt ins Auge. Die offizielle Zahl der Todesopfer in und um New Orleans belief sich derzeit auf 118. Aber Bürgermeister Nagin schätzte, dass die endgültige Zahl zehntausend erreichen könnte. Sie sah nach ihren E-Mails. Ihr Mann hatte noch nie in seinem Leben eine E-Mail verschickt, aber sie konnte es nicht ausschließen. Sie hatte eine E-Mail von Ahmad bekommen. Er hatte ihr die Kopie einer E-Mail an eine weitere Hilfsorganisation geschickt.
Von: CapZeton
Datum: Fr., 9. Sept. 2005, 22:12:05 +0200
An: {Name weggelassen}@arcno.org
Betreff: Suche nach meinem Bruder/Abdulrahman Zeitoun
Sehr geehrte Damen und Herren,
wäre es möglich, durch Sie etwas über die

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