Zeitoun (German Edition)
Haar.
Wieder setzte sie sich an den Computer, um nach ihrem Mann zu suchen. Sie war wütend auf ihn, auf seine Sturheit. Wäre er doch bloß zu ihnen in den Odyssey gestiegen! Wieso konnte er die Logik, die sich Hunderttausende zu eigen gemacht hatten, nicht einfach annehmen? Er musste etwas Besonderes sein. Er musste mehr tun. Er musste es anders machen.
Sie bemerkte eine E-Mail, die Ahmad an eine Vermisstenorganisation geschickt hatte. Die Bilder, die er beigefügt hatte, waren die einzigen, die sie noch von ihrem Mann hatte – zumindest die einzigen, die sie in Phoenix hatte. Sie waren ein Jahr zuvor aufgenommen worden, in Málaga. Die ganze Familie war dorthin gereist, und das Bild war am Strand in der Nähe von Ahmads Haus aufgenommen worden. Als Kathy diesen Strand sah, fiel ihr nur die Wanderung ein, diese irrwitzige Wanderung, die sie auf Drängen ihres Mannes gemacht hatten. Wenn es eine totemistische Erinnerung gab, die diesen Mann versinnbildlichte, dann war es die Erinnerung an diesen Tag.
Sie waren schon seit ein paar Tagen in Málaga, und die älteren Kinder fühlten sich im Haus von Ahmad und Antonia so wohl, dass sie den Vormittag über allein bleiben konnten. Zeitoun wollte mit Kathy und Safiya einen Strandspaziergang machen, ein bisschen allein sein. Als sie gingen, nahmen Zachary, Nademah und Aisha, die sich mit Lutfi und Laila in dem Pool im Garten vergnügten, das kaum zur Kenntnis.
Kathy und Zeitoun gingen hinunter zum Strand. Zeitoun trug Safiya. Sie spazierten etwa eine Meile am kühlen, ruhigen Wasser entlang, und Kathy fühlte sich so wohl wie schon lange nicht mehr. Es war fast wie ein richtiger Urlaub, und ihr Mann wirkte tatsächlich entspannt, wie ein ganz normaler Urlauber. Ihn so zu erleben, wie er ohne jeglichen praktischen Grund einen Strand entlangspazierte, nur um das Wasser zwischen den Zehen zu spüren – das war eine Seite an ihm, die sie selten zu sehen bekam.
Aber es währte nicht lange. Sie hatte gerade erst bemerkt, wie ruhig und gelassen er wirkte, als sein Blick an etwas in der Ferne hängen blieb.
»Siehst du das?«, fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht sehen, was er sah.
»Den Felsen da. Siehst du den?«
Ihm war eine kleine Felsformation in der Ferne aufgefallen, die ein paar Meilen strandabwärts ins Meer ragte. Kathy hielt die Luft an, wartete ängstlich ab, was sich da in seinem Kopf zusammenbraute.
»Lass uns bis dahin gehen«, sagte er mit strahlendem Gesicht und leuchtenden Augen.
Kathy wollte nicht zu irgendeinem bestimmten Ziel gehen. Sie wollte nur schlendern, sich in den Sand setzen und mit ihrer Tochter spielen und dann zu Ahmads Haus zurückkehren. Sie wollte Urlaub – Müßiggang, Unbeschwertheit.
»Komm schon«, sagte er. »Der Tag ist so schön. Und so weit ist es gar nicht.«
Sie gingen weiter in Richtung des Felsens, und das Wasser war angenehm, die Sonne mild. Aber nach dreißig Minuten waren sie ihrem Ziel noch nicht spürbar näher gekommen. Und sie hatten eine niedrige Felsspitze erreicht, die einen Teil des Strandes vom nächsten trennte. Es schien genau die richtige Stelle zum Umkehren zu sein, was Kathy auch vorschlug, aber Zeitoun wollte nichts davon hören.
»Wir sind schon so nah!«, sagte er.
Sie waren keineswegs nah, aber sie folgte ihrem Mann, als er über die Felsspitze kletterte. Er hielt Safiya mit einer Hand, während er über den zerklüfteten Kamm stieg und dann wieder hinunter auf den nächsten Strandabschnitt.
»Siehst du«, sagte er, als sie auf dem feuchten Sand landeten. »Ganz nah.«
Sie gingen weiter, und Zeitoun setzte sich Safiya auf die Schultern. Sie wanderten eine weitere Meile, dann wurde der Strand erneut von einer Felsnase unterbrochen. Auch über diese kletterten sie hinweg. Als sie wieder auf ebener Erde waren, schien der Felsen in der Ferne noch immer kein bisschen näher gekommen zu sein. Zeitoun kümmerte das nicht.
Sie waren schon zwei Stunden unterwegs, als der Strand von einer dritten und sehr viel ausladenderen Felsspitze unterbrochen wurde. Sie war so groß, dass Häuser und Geschäfte darauf gebaut worden waren. Sie mussten eine Treppe hinaufsteigen und durch die Straßen dieses kleinen Ortes gehen. Kathy bestand darauf, dass sie eine Pause machten, Wasser und Eiscreme kauften. Sie löschte ihren Durst, aber sie rasteten nicht lange. Schon bald marschierte er weiter, und ihr blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Sie trabten die Treppe auf der anderen Seite
Weitere Kostenlose Bücher