Zeitoun (German Edition)
Automatikgewehre auf sie gerichtet.
In dem Moment kam ein zweites Boot an. Es war Todd, der von einer seiner Rettungsfahrten zurückkehrte.
»Was ist hier los?«, fragte er.
»Wer sind Sie?«, wollte einer der Uniformierten wissen.
»Ich wohne hier«, sagte Todd. »Das kann ich beweisen. Die Unterlagen sind im Haus.«
»Steigen Sie ins Boot«, sagte der Uniformierte.
Zeitoun geriet nicht in Panik. Er wusste, dass die Zwangsevakuierung angeordnet worden war, und er nahm an, dass das Ganze damit zu tun hatte. Er wusste, wenn man sie erst irgendwo hingebracht hätte, würde sich alles klären. Er musste nur Kathy anrufen, die wiederum einen Anwalt anrufen würde.
Aber Yukos Nummer war im Haus, neben dem Telefon auf dem Tisch im Flur. Wenn er sie jetzt nicht holte, hätte er keine Möglichkeit, Kathy zu erreichen. Er hatte die Nummer nicht im Kopf.
»Entschuldigen Sie«, sagte er zu einem der Soldaten. »Ich hab drinnen einen Zettel mit der Telefonnummer meiner Frau liegen lassen. Sie ist in Arizona. Ich habe sonst keine –« Er bewegte sich Richtung Haus, höflich lächelnd. Diese Nummer war ungeheuer wichtig. Bis zu dem Zettel waren es nur ein paar Meter.
»Nein!«, brüllte der Soldat. Er packte Zeitoun hinten am Hemd, riss ihn herum und stieß ihn aufs Boot.
Die vier Gefangenen standen während der Fahrt, umringt von den sechs Soldaten. Zeitoun versuchte herauszufinden, wer sie waren, aber es gab kaum Anhaltspunkte. Ein paar von ihnen waren schwarz gekleidet, ohne irgendwelche sichtbaren Rangabzeichen.
Keiner sagte etwas. Zeitoun wollte die Situation nicht noch verschärfen. Er ging davon aus, dass sich alles aufklären würde, sobald sie mit einem Vorgesetzten der Leute sprechen konnten. Man würde ihnen Vorhaltungen machen, weil sie trotz der angeordneten Zwangsevakuierung in der Stadt geblieben waren, und man würde sie per Bus oder Hubschrauber in den Norden schicken. Kathy wäre erleichtert, dachte er, wenn sie hörte, dass er endlich auf dem Weg nach draußen war.
Sie brausten die Claiborne und dann die Napoleon hinunter, bis das Wasser an der Kreuzung Napoleon und St. Charles flacher wurde.
Der Motor wurde ausgeschaltet, und das Boot glitt auf die Kreuzung zu. Dort standen ein Dutzend Männer in Uniformen der Nationalgarde, und sie alle merkten auf. Ein paar andere Männer trugen kugelsichere Westen, Sonnenbrillen und schwarze Mützen. Sie blickten ihnen entgegen. Man hatte auf sie gewartet.
Sobald Zeitoun und die drei anderen vom Boot geführt wurden, stürzte sich ein Dutzend Soldaten auf sie. Zwei Männer mit kugelsicheren Westen packten Zeitoun und stießen ihn zu Boden. Sein Gesicht wurde in das nasse Gras gepresst. Er spuckte Schlamm aus. Er spürte ein Knie im Rücken, Hände auf den Beinen. Es fühlte sich an, als würden ihn mindestens drei Männer mit aller Kraft nach unten drücken, obwohl er sich nicht gerührt oder gewehrt hatte. Die Arme wurden ihm nach hinten gerissen und die Hände mit Plastikhandschellen gefesselt. Seine Beine wurden zusammengebunden. Die ganze Zeit über bellten die Männer Befehle: »Stillhalten!« »Unten bleiben, du Scheißkerl.« »Nicht bewegen, du Arschloch.« Aus den Augenwinkeln konnte er die anderen drei, Nasser, Todd und Ronnie, sehen, alle auf dem Boden, Gesicht nach unten, Knie auf dem Rücken, Hände im Nacken. Fotografen machten Aufnahmen. Soldaten sahen zu, die Finger schussbereit am Abzug.
Die vier Männer wurden hochgerissen und hatten Mühe, mit ihren zusammengebundenen Beinen das Gleichgewicht zu halten. Sie wurden in einen großen weißen Van gedrängt. Drinnen setzten sie sich auf zwei Bänke einander gegenüber. Keiner sagte etwas. Ein junger Soldat schob sich auf den Fahrersitz. Sein Gesicht wirkte offen; Zeitoun ließ es drauf ankommen.
»Was ist denn eigentlich los?«, fragte Zeitoun ihn.
»Ich weiß nicht«, sagte der Soldat. »Ich bin aus Indiana.«
Sie warteten dreißig Minuten in dem Van. Zeitoun konnte sehen, was draußen passierte – Soldaten, die hektisch miteinander und in Funkgeräte sprachen. An dieser normalerweise viel befahrenen Kreuzung war er jeden Tag vorbeigekommen. Gleich da vorne an der Ecke konnte er das Restaurant Copeland’s sehen, in dem er oft mit seiner Familie gegessen hatte. Jetzt war hier ein Militärposten, und er war ein Gefangener. Er und Todd wechselten Blicke. Todd war ein Spaßvogel, und er war schon ein- oder zweimal mit dem Gesetz in Konflikt geraten, daher wirkte er selbst hier in diesem
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