Zeitreise ins Leben (German Edition)
der um Ei n lass bat, weil er sich in einer Notlage befand . Sie stotterte dabei gehörig, doch Hanna gab ihr die Zeit, die sie brauchte. Nachdem sie die Nachricht entschlüsselt hatte, schickte sie mich sofort in ein Nebenzimmer , weil ich noch nicht auf fremde Personen treffen durfte . Aufgeregt über die u n erwartete Wendung des Abends , huschte ich folgsam ins Nebenzi m mer, wo ich im Dunklen stehen blieb und neugierig durchs Schlüsselloch lug te . Dieses Loch war wenigstens groß g e nug, um den halben Saal zu überblicken . Den Fremden aus dem 13ten Jahrhundert wollte ich mir keineswegs entgehen lassen. Wenn schon jemand von auße r halb zu uns kam, dann musste ich ihn auch sehen und überprüfen, ob er den hässlich en Bildern entsprach.
Als die Tür zum Speisesaal wieder geöffnete wurde, klopfte mein Herz bereits bis zum Hals und ich versuchte in allen unmöglichen Positionen so durchs Guckloch zu schielen, dass ich einen Blick auf Hanna oder den Reisenden werfen konnte. Doch Hanna schien absichtlich weit von meiner Tür entfernt zu bleiben.
„Vielen Dank für Ih re Gastfreundschaft, werte Dame “, meinte der Reisende mit tiefer, son o rer Stimme und i ch verrenkte mir den Hals, um den vermaledeite n Kerl endlich zu sehen. D er hatte jedoch die Gabe ständig so zu stehen, dass ich ihn nicht zu Gesicht bekam .
„Mein Name ist Heinrich Valentier und ich bin Kaufmann auf dem Wege nach Köln. Ich bitte in ihrem Hause kurz verweilen zu dürfen, denn zu meinem Unglück wurde ich auf meiner Reise von Wegelagerern überfallen. Mein g e samtes Hab und Gut, mein Pferd und mein Wagen wurden mir geraubt.“ Er sprach ein wenig geschraubt, aber doch recht nüchtern über sein Missgeschick. Hanna schnaub te empört .
„Werter Herr Valentier ! Bei uns gibt es schon seit Jahren keine W e gelagerer mehr. Dank dem Schutz der Templer sind unsere Straßen eigentlich sicher.“
„Nun, werte Dame, dann frage ich mic h, wer mir das hier angetan hat? “, antwortete der Mann heiser und zog – soweit ich das erkennen konnte – seinen Umhang zur Seite. Vermu t lich hatte er eine Verletzung und zeigte sie Hanna .
„Oje, das sieht aber gar nicht gut aus , Herr Valentier . Sie brauchen sofort entsprechen de Versorgung “, meinte sie ehrlich mitfühlend und schien automatisch ihre Bedenken zur Seite zu schieben. Halunke oder nicht, er brauchte medizinische Hilfe und die war Hanna bereit zu g e ben. Schnell bat sie Marie ein Zimmer herzurichten, ein paar frische Tücher zu besorgen und he i ßes Wasser . Allmählich verrenkte ich mir schon so blöd den Hals, dass ich es nicht länger aushielt und die Tür einfach einen kleinen Spalt öffnete. Ich wollte endlich das Gesicht dieses Fremden aus dem 13ten Jahrhundert sehen und auch einen Blick auf seine Verletzung erhaschen. Der Mann war größer als Hanna und leicht übe r gewichtig, hatte langes, dunkles Haar und einen kleinen Spitzbart. Sein Umhang war zerrissen und wirkte schäbig, doch sein Hut war in Ordnung und schien zu bestät i gen , dass er kein Vagabund war . Alles in allem sah er nicht sonderlich anders aus als Menschen in meiner Zeit, auch wenn er keinen wir k lich Vertrauen erweckenden Eindruck machte. Da w a ren keine schwulstigen Lippen und auch keine wimper n losen Augen. Selbst die Gesichtsform war durchschnittlich und entsprach nicht den bisherigen Bildern der Zeit. Irgen d wie hatte ich das gleiche Gefühl wie in meiner Kindheit, als ich zum ersten Mal über die Landesg renzen kam und enttäuscht feststellen musste, dass das Land „daneben“ ja genauso au s sah wie das eigene. Auch damals hatte ich mir eine kleine Sensation erwartet oder zumindest eine erkennbare Andersartigkeit , aber d a von konnte keine Rede sein . Der Mann hier war leider nichts Besonders . Dabei war mir nicht ei n mal klar, was ich überhaupt erwartet hatte! Den feurigen Ritter vielleicht, den übermäßig hässl i chen Adeligen, den ... ach, was weiß ich denn ! Frustriert schob ich die Unterlippe vor und beobachtete, wie Hanna mit dem 0815-Typen wi e der den Raum verließ.
Erst nach einer halben Stunde kam sie wieder zurück und wirkte recht zerknirscht. Ich hatte inzwischen die ganze Zeit auf meinem Platz gewartet und kam ihr en t gegen.
„So, mein Kind “,
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