Zeitriss: Thriller (German Edition)
ausländischen Horden abhalten wird, über die Stadt herzufallen.«
Sie legte ihm sanft die Hand auf die Schulter. »Beruhigt Euch, mein Bruder. Ihr werdet tun, was ich Euch sage, und alles wird gut.« Während der folgenden zehn Minuten erging sich Cixi in allen Einzelheiten über den Brief, der an Lord Elgin zu schreiben sei, und über das Ultimatum, das sie darin stellen wollte. Genau wie sie gegenüber Randall, betrachtete auch Prinz Kung die Taktik mit Misstrauen, doch Cixi redete auf ihn ein und zerstreute seine Bedenken.
»Bedenkt, dass dieser Krieg nicht gewonnen werden kann, indem man den Feind aufhält, doch mit jedem Augenblick, den wir ihnen abringen, wächst unsere Verhandlungsstärke.«
»Aber wer wird mit den weißen Blutegeln verhandeln wollen?«, fragte Prinz Kung besorgt. »Ich habe nicht den Mut oder die Überzeugung, um sie bei dem zwangsläufigen Kampf um Reparationen zu schlagen.«
»Ich werde bei Euch sein, mein Bruder. Wir werden sie gemeinsam schlagen.«
Der Prinz schaute verwirrt. »Wie soll das möglich sein? Keine Frau, auch keine kaiserliche Gemahlin, darf einem so schmählichen Ereignis beiwohnen.«
»Ich werde da sein. Bleibt ruhig.«
Der Prinz rang ängstlich die schweißnassen Hände. »Die Wölfe ziehen den Kreis um uns enger. Ich kann sie spüren. Die Nacht war kalt und finster, und ich glaube, das war sie, weil der Blauäugige die Nacht in diesen geheiligten Mauern verbracht hat.« Er fing an zu flüstern. »Ihr müsst seine Anwesenheit überdenken, bevor wir erwischt werden oder er uns verrät.«
Cixi hob den Blick zu der prächtigen Fassade des Palastes. Seine schiere Größe und Erhabenheit bewirkte, dass sie sich ihres Tuns noch sicherer war. »Ich habe ihn in meinen Bann geschlagen. Der Mann ist mächtig, doch seine Überlegenheit wurde so sicher gebrochen, wie ich mit scharfer Klinge einen Knoten zerschneide, sodass ich ihn nun lenke.«
»Wie könnt Ihr dessen sicher sein?«, fragte der Prinz.
Cixis Gesichtsausdruck zeigte eine Spur von Arroganz, als sie die flache Hand ausstreckte, dann die Finger zur Faust schloss. »Ich habe weggenommen, was er wollte, und gegen ihn gewendet. Jetzt habe ich ihn in der Hand – er gehört nicht mehr Lord Elgin. Das ist der Grund, weshalb wir an diesem schicksalhaften Tag zuversichtlich sein sollten. Ihr werdet tun, was ich sage, und alles wird gut.«
Die hohe, nach Süden gewandte Tür des Palastes öffnete sich einen Spalt breit. Ein Knabe kam herausgelaufen, sprang die Stufen hinab und über den Hof. Es war Tung Chi, Prinz der Qing und Erbe des Reiches. Er trug einen dicken goldgelben einteiligen Anzug aus Baumwolle und einen Samthut auf dem Kopf. An den Füßen hatte er weiße Lammlederstiefel. Zwei Dienerinnen eilten aus der Tür ihm nach.
»Mutter!«, rief Tung Chi. »Mutter!« Mit strahlendem Gesicht und ausgestreckten Armen rannte er auf sie zu.
Cixi zeigte nicht solche Gefühle. Sie wich bloß einen Schritt zurück, um den Ansturm des Fünfjährigen und seiner Umarmung abzufangen. Sie nahm ihn bei den Schultern und schob ihn ein Stückchen von sich. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass junge Prinzen nicht herumrennen wie kopflose Hühner im Pferch? Du musst würdevoller sein, mein Sohn.«
Tung Chi sah verwundert zu ihr auf. »Verzeiht, Mutter. Ich freue mich nur so sehr, Euch zu sehen«, plapperte er.
Prinz Kung zog den Jungen an sich, wie um ihn zu beschützen. »Deine Mutter ist hier, um wichtige Neuigkeiten mit mir zu besprechen. Für das Reich ist eine schwere Zeit angebrochen, und deine Mutter ist die Einzige, die uns vor einem furchtbaren Schicksal bewahren kann.«
»Und der Sohn des Himmels?«, fragte Tung Chi seinen Onkel.
»Er beschützt uns alle«, antwortete dieser.
»Der Sohn des Himmels ist zur Zeit nicht hier«, erklärte Cixi. »Aber ich als seine Gemahlin werde meine Pflicht tun.«
Inzwischen hatten die Dienerinnen den Kleinen eingeholt. Sie zogen ihn von Prinz Kung fort und machten sich eilig daran, die Kleider und Haare ihres Schützlings zu richten.
Cixi entlud ihren Zorn. »Ich habe euch hundert Mal gesagt, er muss strenger erzogen werden! Er darf nicht über den Hof rennen wie ein gewöhnliches Kind! Dieser Knabe ist der nächste Sohn des Himmels, und ich übertrage euch die Pflicht, ihn zu lehren und zu versorgen. Enttäuscht mich nicht noch einmal, sonst könnt ihr für den Rest eurer Tage die Spucknäpfe reinigen.«
»Wir bitten um Vergebung, Edle Kaiserliche Gemahlin«, sagten sie
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