Zeitriss: Thriller (German Edition)
er aber auch keinen Erwartungen zu entsprechen, was vermutlich der größere Vorteil war.
Wilson blickte auf das Pazifikpanorama. Das Unwetter, das noch die ganze Nacht getobt hatte, war ein gutes Stück aufs Meer hinausgezogen. Der Gedanke daran brachte ihn auf Minerva Hathaway. Er begehrte sie, wollte vielleicht sogar mehr von ihr; das war ihm inzwischen klar. Doch sie stellte eine Komplikation dar, für die in seinem Leben momentan einfach kein Platz war. Wahrscheinlich würde GM es ohnehin zu verhindern wissen, dass sie sich sahen, und das war sicher ganz gut so. Wilson war nichts anderes übrig geblieben, als ihm Jaspers Widerstand gegen seine Absicht zu verraten. Sonst hätte GM von dem Lebenselixier angefangen. Wilson konnte nur hoffen, dass Jasper für seine Entscheidung Verständnis aufbrächte.
Ein melodisches Klingeln schallte durch die Wohnung, gefolgt von einer sanften elektronischen Frauenstimme: »Ein Besucher kommt durch das vordere Tor.«
»Wer ist es?«, fragte Wilson.
»Die Personenkennung wurde unterdrückt«, antwortete die Stimme. Ein holografisches Bild baute sich vor ihm auf: ein Elektrowagen, ein neues Kompaktmodell mit schwarz getönten Scheiben, das die Auffahrt heraufrollte.
Wilson ging in sein Ankleidezimmer und schlüpfte in ein Paar Schuhe, dann zog er den Reißverschluss seiner Mercury-Jacke zu. Nachdem er sich mit den Fingern durch die Haare gekämmt hatte, um den Anschein von Ordentlichkeit zu erwecken, ging er zielstrebig durch den Flur, wo seine Ledersohlen auf den Fliesen knallten.
Als er die breite Tür aufzog, stand Minerva vor ihm in einem schlichten schwarzen Kleid und Sandalen und mit rotgeweinten, verquollenen Augen. »Ihretwegen wurde ich gefeuert!«, sagte sie heftig. »Ich hoffe, Sie sind jetzt zufrieden, Wilson!«
Er stöhnte. »Das kann ich jetzt gerade gar nicht gebrauchen, Minerva.«
»Was haben Sie zu GM gesagt?«
»Sie spielen ein gefährliches Spiel«, gab er zur Antwort.
»Der Einzige, der ein gefährliches Spiel spielt, sind Sie, Wilson! Sie sind derjenige mit den Geheimnissen. Sie sind es, der zwischen GM und Jasper steht, nicht ich!«
»Sie haben kein Recht, in meine Privatwohnung zu kommen«, sagte Wilson und spähte an ihr vorbei die Auffahrt entlang, ob sie jemanden mitgebracht hatte.
»Sie haben meine Arbeit bei Enterprise Corporation kompromittiert, ohne Rücksicht darauf, welche Konsequenzen das für mich hat.«
Er stand mitten in der Tür, wie um ihr den Zutritt zu verwehren. »Ich habe nichts gesagt, weshalb man sie entlassen könnte.« Er klang gestresst, aber das war ihm egal. »Ich habe getan, was ich für richtig hielt – mehr nicht. Entweder sind Sie in eine Situation geraten, die Sie nicht verstehen – und das täte mir leid –, oder Sie wissen über alles Bescheid und haben sich mit mächtigen Männern verbündet. So oder so müssen Sie die Folgen akzeptieren.«
Minerva wirkte bitter enttäuscht. »Ich bin immer ehrlich zu Ihnen gewesen.«
Wilson forschte in ihrem Gesicht. Sie hatte offenbar geweint und war blass. Sie war ungeschminkt, die Haare ein bisschen durcheinander. Er gab sich Mühe, nicht auf ihren Körper zu achten, doch ohne es zu wollen, nahm er ihn wahr. Das Kleid war auf Figur geschnitten und betonte ihre schmale Taille. Ihre Beine waren lang und gebräunt, und selbst mit flachen Sandalen war sie sehr groß. Es war unmöglich, sich nicht zu ihr hingezogen zu fühlen. Wilson hielt es für das Beste, das wenigstens vor sich selbst zuzugeben.
»Warum sind Sie hier, Minerva?«
»Ich will, dass Sie wissen, was Sie getan haben.«
Wilson sah sie forschend an, doch ihr Gesicht war unergründlich. Log sie oder nicht? Und je mehr er sie ansah, desto weniger konnte er sich von ihrem Anblick losreißen.
»Ich wollte in Ihrer Nähe sein«, bekannte sie leise, »sonst nichts. Und Sie verdrehen das zu einer Verschwörung. Aber das liegt nur an Ihnen. Sie haben mit Dämonen zu kämpfen, Wilson, ich kenne Sie. Ich weiß, was Sie durchgemacht haben – soweit es archiviert ist, jedenfalls.« Einen Moment lang sagte sie nichts. »Sie haben erstaunliche Dinge getan, und sie haben für diese Erfahrungen einen Preis gezahlt. Aber Sie sind kein Mann ohne Gefühle oder Bedürfnisse.«
Seine Logik verlangte lautstark, sie mit harschen Worten wegzuschicken, stattdessen trat er zur Seite und winkte sie herein. Er war so erschöpft von den ständigen Konflikten. Er konnte nicht mehr ständig standhalten. »Es ist zwar dumm, Sie
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