Zeitriss: Thriller (German Edition)
Bogen. Damit waren sie vor dem Hintergrund der dunkelgrauen Steinplatten prächtig anzusehen.
Drinnen in der Halle blieb der Thron leer, obwohl alle Mitglieder des Kriegsrats anwesend waren. Sie warteten schweigend auf den Sohn des Himmels, und kein einziges Flüstern war zu hören. Cixi saß am Ende der neun Stühle, die im Halbkreis vor dem Thron aufgestellt waren. Wie die anderen war sie im Hofgewand erschienen, dem förmlichsten Stück ihrer Garderobe. Es war ein goldenes Chaofu aus feiner Seide mit schwarz bestickter Bordüre, das bis zum Boden reichte. Aufgestickt waren zwölf fliegende Kraniche, ein Zeichen höchsten gesellschaftlichen Ranges. Um den Hals trug sie sechs Reihen roter und goldener Perlen. Ihre glänzenden schwarzen Haare waren am Hinterkopf zu einem festen Knoten gebunden, in dem kreuzweise zwei Jadestäbe steckten.
Cixis Schönheit war an die acht Männer zu ihrer Linken nicht verschwendet. Und wenn sie an ihnen vorüberging, duftete sie lieblich wie Honig. Die fortgesetzte Verliebtheit des Kaisers erforderte es, dass auch andere Männer sie begehrten. Sie war noch nicht mächtig genug, um deren Einfluss auf den Sohn des Himmels außer Acht lassen zu dürfen. Ein Wort hier, ein Wort da konnte entscheidend sein. Darum flirtete sie sehr subtil, sodass sich die Lenden der Bewunderer regten. Wie sie die dunklen Augen aufschlug und einem Blick begegnete oder wie sie ihre Brüste streifte, wenn einer zu ihr hinsah, verfehlte seine Wirkung nicht, und sicher tat ihr schneller Witz und kraftvoller Verstand ein Übriges, jedenfalls wusste sie mit den Männern ihrer Umgebung umzugehen. Nur einer widersetzte sich beharrlich ihrem Zauber, und das war Su Shun, der Zweite Großsekretär. Er war zu ihr kalt wie Eis und zeigte unmissverständlich seine Ansicht, dass ihre Einflussnahme auf den Kaiser gegen die Tradition verstieß.
Der Kriegsrat bestand aus neun Mitgliedern, darunter die fünf Hohen Räte Su Shun, die Prinzen Kung, Yi und Cheng sowie Mu Yin, der den Vorsitz innehatte; die Übrigen waren drei beigeordnete Generäle des Tatarenheers – Männer, die Cixis Einfluss leicht unterlagen. Die Männer des Kriegsrats trugen schwarze Roben, die Prinzen das Symbol des vierklauigen Drachen, die übrigen Adligen den dreiklauigen Drachen, Cixi nur das Kranichsymbol, um sich bescheiden zu geben und andere nicht zu augenfällig im Rang zu übertreffen.
Aus den blauen Porzellanschalen stiegen dünne Rauchkringel in die stille Luft auf und sandten ihren besänftigenden Duft nach draußen in den heißen Vorhof. Unterdessen hatte Cixi beständig freien Blick auf ihren Großeunuchen, der im Hintergrund der Halle stand, und seine Augen ruhten ununterbrochen auf ihr. Wenn sie kaltes Wasser zu trinken wünschte, genügte ein bestimmter Blick von ihr, um eine Reihe hastiger Handlungen auszulösen: Li Lien flüsterte seinen Gehilfen etwas zu, worauf sie davoneilten und Li Lien kurz darauf ein Glas in der Hand hielt, mit dem er sich lautlos über den schwarz glänzenden Boden zu ihr begab.
Su Shun saß immer am weitesten von ihr entfernt, sodass sie ihn bestens sehen konnte. In ihrem Rücken stand sein Eunuch, in seinem Rücken der ihrige. Su Shun hatte am Hof beträchtliche Macht und war ein Mitglied des Gerahmten Blauen Banners, also der Familie des Kaisers. Seine Haut war haselnussbraun, sein Körper knochig, das Gesicht schmal und die Nase für einen Mandschu recht spitz. Mit seinen fast fünfzig Jahren hatte er seine körperliche Bestzeit hinter sich, doch in seinen wohlgesetzten Worten und seinem halsstarrigen Auftreten zeigte sich ein großer Ehrgeiz. Erst kürzlich hatte er seinen Vorgänger Po Sui aus dem Amt gedrängt, indem er ihm die Schuld an dem Vertrag von Tientsin gab – was schließlich zu dessen Hinrichtung führte. Cixi wollte Po Suis Tod noch verhindern, kam aber zu spät, und dieser Moment des Mitgefühls signalisierte dem ganzen Hof, dass sich eine tödliche Fehde zwischen ihr und Su Shun entspann. Da er enormen Reichtum besaß und ihn hauptsächlich durch Korruption und Erpressung erlangt hatte, wurde er von allen gefürchtet, und so blieb es Cixi überlassen, ihren Charme beim Kaiser einzusetzen, um den Zweiten Großsekretär und seinen unbändigen Ehrgeiz in Schach zu halten.
Nachdem sie über eine Stunde auf den Kaiser gewartet hatten, wurden die Mitglieder des Kriegsrats ungeduldig. Sie schwiegen, begannen aber, auf ihren Stühlen herumzurutschen. Nur Cixi und Su Shun bewiesen meditative
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