Zeitriss: Thriller (German Edition)

überzeugend zeigen, dass Prinz Kungs Führung auf Mitgefühl, Vertrauen und Entgegenkommen beruht.«
    »Warum wollt Ihr mir helfen?«, fragte Cixi.
    »Ich muss die Qing-Dynastie erhalten«, antwortete Randall. »Euer Sohn wird eines Tages Kaiser sein. Damit es dazu kommen kann, müsst Ihr Eure Gegner in Diplomatie schlagen. Es wird ein hoher Preis zu zahlen sein, weil Ihr einige ihrer Gesandten getötet habt. Doch da sich das nicht rückgängig machen lässt, lohnt es sich, diesen Preis zu entrichten. Unterdessen müsst Ihr den Einfluss Su Shuns auf den Sohn des Himmels unterbinden, bevor er den Thronanspruch Eures Sohnes untergräbt. Nur dann wird die Zukunft des Qing-Reiches gesichert sein.«
    Auch diesmal konnte Cixi ihre Verblüffung über die Unverblümtheit des blauäugigen Fremden verbergen. Wie konnte er das alles wissen? Und in solchen Einzelheiten? Sie war sehr von ihm angetan, und zum Glück schienen seine Absichten in dieselbe Richtung zu gehen wie ihre.
    »Ich bin froh, dass Ihr dem Reich zu Hilfe kommt«, sagte sie in dankbarem Ton. »Es wird mir eine Freude sein, Euch meine ganze Dankbarkeit zu zeigen, wenn Eure Vorhersagen wahr werden.« Sie drehte sich zum höchsten Punkt der Mauer um und beschrieb mit dem Zeigefinger einen Kreis. Darauf senkten die Schützen ihren Bogen und nahmen Habtachtstellung ein.
    Cixi fühlte neue Zuversicht durch ihre Adern rinnen, die sie seit Monaten schmerzlich vermisst hatte. Im Glanz dieser zinnoberroten Mauern hatte sie einen unerwarteten Freund gefunden, der die Macht zu haben schien, das Schicksal Chinas zu wenden.
    Randall blickte in ihre Augen und rang darum, sich nicht in ihren Bann schlagen zu lassen. Sie war schön, so viel hatte er erwartet; doch was ihn völlig fesselte, war ihre Anmut und der berauschende Klang ihrer Stimme. Er würde Abstand halten, versicherte er sich. Doch nach nur zehn Minuten in ihrer Gesellschaft musste er zugeben, dass sie die anziehendste Frau war, die er je getroffen hatte.

25.
Kalifornien, Nordamerika
Enterprise Corporation
Garten des Mercury Building
12. Juli 2084
Ortszeit: 5.14 Uhr
42 Tage vor dem Esra-Transport
    Es war noch dunkel, als Wilson über den Hof ging und den Pfad hinaufstieg, der auf den Hügel hinter dem Mercury Building führte. Er war mit Randall und Le Dan verabredet, dem Shaolin-Meister der 35. Generation, von dem Randall seit seinem fünften Lebensjahr ausgebildet wurde. Randall hatte ihn als neunzigjährigen Chinesen beschrieben, der den Körper eines Dreißigjährigen habe. Und er besitze unermessliche Weisheit, die von einem Meister auf den nächsten übergegangen sei, seit dem Anbeginn der Zeit. Es hieß, ein Shaolin-Meister habe nur drei Schüler, die lebenslang von ihm lernten. Nach seinem Tod werde nur einer der drei den Titel des Meisters erhalten und seinerseits drei Schüler annehmen. Wilson vermutete, dass Randall einer von dreien war, wusste es aber nicht. Jedenfalls würde dieses Treffen zusätzliches Licht darauf werfen, warum Randall als Aufseher des Unternehmens Esra ausgewählt worden war.
    Seit zwei Wochen hielt sich Le Dan in der Firma auf und sorgte für Randalls körperliches und geistiges Training. Die Einzelheiten von Randalls Auftrag unterlagen strikter Geheimhaltung, doch dem Shaolin-Meister war sicher klar, dass sein Schüler vor einer großen Aufgabe stand. Wilson sah dem Treffen erwartungsvoll entgegen. Er hoffte auf eine Inspiration, wenngleich er sich immer wieder sagte, er dürfe nicht zu viel erwarten.
    Er wusste über die Shaolin-Mönche, dass sie sehr zurückhaltend und für ihre unglaublichen Kampfkünste weltberühmt waren. Ihr Kloster befand sich in der Provinz Henan am Fuß des Shaoshi. Ihr Orden wurde 527 von dem Mönch Bodhidharma gegründet, nachdem er den Hof des Kaisers Wu der Liang-Dynastie verlassen hatte und entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum buddhistischen Lebens. Es hieß, der Mönch sei nach Henan gekommen und neun Jahre lang stumm gewesen, ehe er seine Kampffertigkeiten ausbildete und die taoistischen Schriften über Weisheit und Erleuchtung studierte. Dies waren die bescheidenen Anfänge des Kung Fu, was so viel hieß wie »Ergebnis harter, geduldiger Arbeit«.
    Wilson war vor Jahren bei einer Vorführung gewesen und hatte Unvergleichliches gesehen. Wie gut Randall war, wusste er nicht, doch beim Gesundheitscheck waren seine Reaktionen die schnellsten gewesen, die je bei Angestellten der Firma gemessen worden waren.
    Als er auf der Hügelkuppe ankam,